I: Gemeinsame Strategie, Medienlandschaft und Ideologie

Recherche und Analyse zur Transformation der Netzwerke, Medienlandschaft und Ideologie der AfD und ihres politischen Vorfeldes

Diese zweiteilige Recherche ist der Tatsache geschuldet, dass sich die AfD, ihre Nachwuchsorganisation „Junge Alternative“ (JA) und das „politische Vorfeld“ um Neue Rechte und Identitäre Bewegung (IB) immer enger und offensichtlicher vernetzen. Aller Abgrenzungen und Unvereinbarkeitsbeschlüsse zum Trotz sind die Grenzen zwischen politischem und außerparlamentarischem Arm der extremen Rechten mittlerweile fließend.

Offene und bereits beobachtete Verfassungs- und Menschenfeinde drängen mit Macht in die Partei und ermutigen diese seit Gründung existierenden Personenkreise in der Partei offensiver aufzutreten. Dies vollzieht sich auf drei Ebenen: strukturell, ideologisch und personenbezogen. Der Parteinachwuchs übernimmt Medien-, Organisations- und Aktionsstrategien der Identitären Bewegung. Ideologisch werden immer stärker die Neue Rechte und die völkisch-nationalistischen und antidemokratischen Autoren der „Konservative Revolution“ zum theoretischen Bezugspunkt, während zugleich Personen aus diesem Spektrum hofiert und in Parteistrukturen aufgenommen werden. Diese Recherche gibt einen Überblick und soll Ansatzpunkte für tiefergehende Untersuchungen bieten. Deutlich wird jedoch bereits mit dieser Recherche: die AfD verbündet sich zunehmend offen mit ihrem extrem rechten Vorfeld. Dieses Vorfeld ist antidemokratisch, antiliberal, antiegalitär und in Teilen offen neofaschistisch.

Der erste Teil gibt eine allgemeine Einschätzung zum Status Quo der AfD, der Medienoffensive der JA und skizziert das „meta“politische Vorfeld der Partei. Anschließend wird anhand von Medien-, Organisations- und Aktionsstrategien konkretisiert, wie Neue Rechte und Identitäre Bewegung als Vorbild und unterstützende Mentoren für große Teile der AfD und ihrer Parteijugend agieren. Schließlich zeigen wird die mittlerweile völlig unverhohlene ideologische Bezugnahme der Partei auf die autoritäre, völkische und antidemokratische Ideengeschichte deutscher Vergangenheit aufgezeigt.

Im zweiten Teil werden diese lagerübergreifenden Netzwerke konkretisiert, indem gegenseitige Unterstützung, Treffen, Einladungen und personelle Überschneidungen dokumentiert werden.

AfD 2020. Ausgangslage

Die Flügel-Strategen: Kalbitz, Kubitschek, Höcke

Die AfD steckt im Jahr 2020 in einer krisenhaften Stagnation die zu innerparteilichen Zerwürfnissen führte und die zuvor bereits schwelenden Flügelkämpfe eskalieren ließ. Weder die Corona-Krise noch die weitere Instrumentalisierung von Flüchtlingsbewegungen spielte der AfD neue Wähler*innen zu. Im Gegenteil: die Wahlen im Jahr 2020, selbst in den AfD-Hochburgen wie Thüringen und Sachsen, mussten von rechter Seite als Misserfolge bewertet werden. Die euphorischen und erfolgreichen Anfangsjahre der AfD sind scheinbar Geschichte. Zunehmende Frustration über ausbleibende Erfolge erzeugten Reibungen und Schuldzuweisungen, die bundesweit in zahlreichen Ausstiegen, Rücktritten und Auflösungen mündeten. Der Erfolgs-Kit, der die Partei in ihrem Aufstieg zusammenhielt, begann zu bröckeln, was die einzelnen Interessensgruppen dieses Konglomerats aus EuroskeptikerIinnen, Neoliberalen, Völkischen-NationalistIinnen und christlichen FundamentalistInnen wieder deutlicher hervortreten ließ. Trotz zahlreicher reaktionärer Lager innerhalb der Partei, flammten die Grabenkämpfe zwischen marktradikal-ordoliberal und völkisch-nationalistischen Kräften jedoch besonders auf, die sich auf Landes- und Bundesebene massiv bekriegten mit dem Resultat zahlreicher Ordnungsmaßnahmen und eingeleiteter Parteiausschlüsse AfD-Politiker. Verschärft wurde der Konflikt durch die Einstufung des Flügels durch den Verfassungsschutz als „gesichert rechtsextremistisch“ und die damit einhergehende Beobachtung. Nach André Poggenburg, dem ehemaligen Landessprecher von Sachsen-Anhalt, flog auch der Brandenburger Fraktionschef Andreas Kalbitz aus der Partei. Der Flügel löste sich unter Druck geraten offiziell auf, während die extrem rechten Netzwerke und Seilschaften jedoch weiterhin fortbestehen. Björn Höcke versucht sich seitdem verbal in taktischer Zurückhaltung, um keine neue Munition für parteiinterne Gegner*innen und den Verfassungsschutz zu liefern. Dabei ist er einer der wenigen, die nie einen Hehl daraus machten, dass er mit dem neurechten Vorfeld von Schnellroda, EinProzent und Pegida gemeinsame Sache machte. Durch seine Besuche bei seinem Duzfreund Götz Kubitschek in Schnellroda beziehe er „geistiges Manna“. Doch auch dort wird die aktuelle Situation der Rechten als „Krise“ beschrieben und in selbstkritischem Ton wird gar darüber philosophiert, ob man nicht mittlerweile als zahnlose „Belagerer vor der Burg“ systemstabilisierend wirke.

Die AfD als parteipolitischer Arm der extremen Rechten

IB-Shirt: Strache, Höcke, Orban, Le Pen

Seit Jahren warnen Politiker*innen, Rechtsextremismusexpert*innen, Recherchegruppen, Antifaschist*innen und Journalist*innen vor rechten Netzwerken und der fatalen gesellschaftlichen Wirkung neurechter Narrative. Dies alles weit bevor Verfassungsschutz und staatliche Behörden aktiv worden. Es benötigte also den öffentlichen Druck, fundierte Recherche und Belege, bis sich auch staatliche Behörden genötigt sahen, die AfD und ihr Umfeld genauer zu analysieren und nicht als selbstständige Satelliten zu sehen. Was diese Kreise möchten, machen sie beispielsweise mit ihrer großen Verehrung für Victor Orban deutlich, der seinen Staat nach seiner Machtergreifung 2011 massiv umgebaut, indem er die Verfassung änderte, Mitbestimmung und Pressefreiheit eingeschränkte und ein korruptes System etablierte, dem bis 2018 bereits 600.000 junge Menschen den Rücken kehrten.

 

Auch der Dortmunder AfD-Stadtrat Helferich ist Orban-Fan

Ein Vorbild, wie man mittels (vor-)politischer Macht einen demokratischen Staat in einen Autoritären verwandelt. Die demokratische Verfasstheit eines Staates ist nicht in Stein gemeißelt, weshalb zivilgesellschaftliche Akteure und Recherchestrukturen seit Langem auch hierzulande Alarm schlagen. Bereits 2016 wurde auf Druck hin die Identitäre Bewegung vom Verfassungsschutz beobachtet und 2020 wurde diese schließlich als „gesichert rechtsextremistisch“ eingestuft. Am 15. Januar 2019 erklärte der Verfassungsschutz die Gesamtpartei AfD zu einem Prüffall. Zeitgleich wurde das extrem rechte Netzwerk Der Flügel sowie die Jugendorganisation der AfD, die Junge Alternative, zu „Verdachtsfällen“ erklärt. Mitte 2020 wurde dann auch folgerichtig das neurechte Vorfeld vom Verfassungsschutz ins Visier genommen: die extrem rechte NGO EinProzent mit Sitz in Dresden, das mit ihm eng verbandelte Institut für Staatspolitik (IfS) in Schnellroda, sowie das Magazin Compact. Mag man sich als Beobachter*in der Szene über die späte Reaktion und die „Erkenntnisse“ von staatlicher Seite nur verwundert die Augen reiben, so trifft der Stempel des Verfassungsschutzes das inner- wie außerparteiliche Netzwerk der AfD doch heftig. Vor allem für das elitäre und Mittelschichtsumfeld der „Professorenpartei“ ist es fortan riskant, sich zu dieser oder gar zum Flügel öffentlich zu bekennen. Unzählige Texte mit Ratschlägen und Verhaltenshinweisen werden daraufhin in Schnellroda produziert und über Podcasts, Videos und Texte an die AfD herangetragen. In beinahe bettelndem Unterton wird dabei das Bekenntnis der Partei zu ihrem politischen Vorfeld gefordert. In der Folge vollziehen sich ambivalente Entwicklungen in der AfD. Während die Meuthen-Fraktion auf Distanz bedacht ist, suchen die ohnehin bereits vom VS beobachteten Kräfte wie JA und Flügel mal offen, mal verdeckt die Nähe zu anderen radikalen, neurechten, metapolitisch agierenden Netzwerken. Dieses Netzwerk besteht aus den oben beschriebenen neurechten Strukturen wie Identitärer Bewegung, EinProzent und dem Schnellroda-Komplex. Aber diese Lager ist weit größer: Zeitschriften, Verlage, Stiftungen, Blogs, InfluencerInnen, MedienmacherInnen, MusikerInnen, Bekleidungsmarken und Straßenmobilisierungen wie Pegida sollen eine lagerübergreifende Mosaikrechte entstehen lassen, die sich der neurechte Vordenker Kubitschek wie folgt vorstellt: „Das Milieu besteht aus Partei, Milieu-Medien, vorpolitischen Initiativen und aktivistischen Initiativen. Das ist wie bei einer fröhlichen Regatta, die Kriegsschiffe fahren nebeneinander her und man winkt sich von der Brücke aus zu.“ IB-Chef Martin Sellner untergliedert das rechte Lager in Partei, Gegenöffentlichkeit und Bewegung und wünscht sich eine synergetische Beziehung untereinander. Der reine „Parlamentspatriotismus“ wird von der Neuen Rechten hingegen immer kritischer beäugt. Mehrfach setzte sich Kubitscheks Zeitschrift Sezession in Artikeln („Kritik des Parlamentspatriotismus“ [Martin Sellner]) sowie einer eigenen IfS-Studie („Scheitert die AfD?“ [Josef Schüßlburner]) extrem kritisch mit der AfD auseinander.

Diese durchschaubaren Manöver zielen darauf ab, die Erfolglosigkeit der AfD mit ihrer „Distanz“ zum neurechten, neofaschistischen und in Teilen offen neonazistischen Lager zu begründen. Dabei schwingt immer der Wunsch mit, dass sich die komplette Partei endlich zu ihrem politischen Vorfeld bekennt und damit auch das IfS und sein neurechtes Umfeld von Identitärer Bewegung, Pegida und EinProzent rehabilitiert werden. Diese Selbstüberhöhung ist den neurechten Intellektuellen um Kubitschek inhärent und spiegelt das Selbstverständnis als Orientierung und Organisation vermittelndes Zentrum des rechtsintellektuellen Milieus wider. Beklagt wird in dieser Kritik an der Parteipolitik der AfD, dass sich trotz der regional starken AfD-Wahlergebnisse gesamtgesellschaftlich für die Rechte viel zu wenig geändert hat. Ähnlich fällt das Urteil über Trumps Regierungszeit aus, der trotz seiner machtvollen Position zwar viel zündeln aber nicht den von rechts herbeigesehnten gesellschaftlichen Umbruch vollziehen konnte.

 

Will die Neue Rechte den Faschismus?

Angebot des neurechten Antaios-Verlags von Götz Kubitschek

Bereits 2006 machte Götz Kubitschek keinen Hehl aus seiner politischen Agenda: „Unser Ziel ist nicht die Beteiligung am Diskurs, sondern sein Ende als Konsensform, nicht ein Mitreden, sondern eine andere Sprache, nicht der Stehplatz im Salon, sondern die Beendigung der Party.“ Um dies zu erreichen befindet sich die Neue Rechte, insbesondere die Identitäre Bewegung, in einer akzelerierenden Radikalisierungsspirale. Aufgrund des Fakts, dass es sich mittlerweile bei mehreren rechtsterroristischen Attentätern um Sympathisanten und Gönner der IB handelte, wurde immer verzweifelter der Versuch unternommen, sich immer noch als „gewaltfreie“ Gruppierung darzustellen. Besonders nach den brutalen Anschlägen von Paris, Nizza und Wien durch radikale Islamisten, wurde deutlich, wie diese rechten, ob islamistisch oder völkisch motivierten Brüder im Geiste an beiden Enden einer Zweimannsäge die Gesellschaft zu Fall bringen wollen. Dabei brauchen und bedingen sie sich. Die beinahe unverhohlene Freude identitärer Akteure in den Folgetagen der Anschläge und ihr Aufruf zu Wut und Vergeltung, machten einmal mehr deutlich, dass sie, wie auch IslamistInnen bürgerkriegsähnliche Zustände herbeisehnen. Insgesamt kommt die Neue Rechte wiederholt neidvoll zu dem Schluss, wie gut und ideologisch gefestigt doch progressive, linke Strukturen Einfluss auf Gesellschaft nehmen würden, während die Rechten als zahnlose Belagerer vor eben dieser stünden. Dieses verzerrte, romantisierte und extrem rechte Weltbild, dass abgeschlossene, homogene und darwinistischen Ständegesellschaften imaginiert, führt dazu, dass der Rest der Welt zum Feind erklärt wird. Zum einen, weil sie politisch liberalere Ideen vertreten, zum anderen, weil sie schlichtweg keine weißen Europäer*innen sind. Die Ideologeme und Schriften der Neuen Rechten verfolgen das Ziel eines gesellschaftlichen Umbruchs, einer „revolutionären Neugeburt“ gepaart mit einem europäisch-konnotierten, „weißen“ Ultranationalismus. Die Neue Rechte, vor allem um Schnellroda, sieht sich dabei als Elite, die das Volk als starke Führer zu ihrer Verheißung führen soll. Diese Verheißung ist der Faschismus.

Die extrem rechte Deutsche Burschenschaft arbeitet als Teil der Neuen Rechten ebenfalls an einem „anderen gesellschaftlichen Klima“.

Über Metapolitik zur „Neugeburt“

Um diese Verheißung zu erreichen greifen die Rechtsintellektuellen auf Theorien des italienischen Marxisten Antonio Gramsci zurück, nach dessen Gefängnisschriften die kulturelle Hegemonie, Voraussetzung für tatsächliche politische Macht sei. Die Neue Rechte nennt dieses kulturelle, vorpolitische Machtbestreben „Metapolitik“ und sieht sich darin durch tatsächliche, rein politische Machtgewinne in Teilen Ostdeutschlands oder durch Trump in ihrer Skepsis diesbezüglich bestätigt. Politische Macht hat demnach eine kulturelle Hegemonie als Voraussetzung, die für extreme Rechte momentan bei einem „linksgrünen“ Establishment bzw. „tiefen Staat“ liege. Den neurechten AfD-Flüsterern geht es also vielmehr in einem ersten Schritt um die Erringung kultureller Hegemonie, den sie als Voraussetzung für einen autoritär-regressiven Umschwung begreifen. Mit Hochdruck arbeiten neurechte Kräfte an einem eigenen Kosmos in den verschiedensten Brauntönen, der metapolitisch eine Gegenöffentlichkeit zum Ziel hat. In allen relevanten Bereichen wie Musik, Unterhaltung, Kultur, Medien und Sport startet die Neue Rechte Projekte, die auf den ersten Blick unverfänglich aber professionell daherkommen. Dieses Milieu aus Projekten verschiedener Organisationen und Personen möchte ein gesellschaftliches Klima schaffen, welches einen eruptiven gesellschaftlichen Umbruch ermöglicht. Erst dann könne auf dem gerodeten, urbar gemachten Land der parlamentarische Arm der Rechten effektiv wirken, so die theoretische Überlegung. Die Keimlinge dieser Saat erwachsen in einer gesellschaftlichen, palingenetischen Morgendämmerung, um im Bilde zu bleiben. Diese „revolutionäre Neugeburt“, die nicht anders als extrem gewaltvoll vorstellbar ist – schließlich müssten politische Gegner*innen liquidiert und Menschen mit Migrationshintergrund zum Verlassen Deutschlands gezwungen werden – geht in einer autoritären und elitären Gesellschaft auf.

In dem Ausschnitt erklärt der Identitäre Kader Till-Lucas Wessels, was sie unter „Metapolitik“ verstehen. Es ist ihr Kampf um den „vorpolitischen Raum“. Deshalb sind ihre Musik, ihr Merchandise, ihre Symbole, Narrative & Aktionen nie „unpolitisch“. Sie befinden sich im „Krieg“ und das sind ihre „Waffen“.

Die symbiotische Beziehung zwischen Neuer Rechte und AfD

AfDler unter sich: Reimond Hoffmann lobpreist und rechtfertigt den Faschismus. Hans-Thomas Tillschneider gefällt das.

Seit der Gründung der AfD gab es eine Beziehung zwischen AfD und neurechten Netzwerken, die in den letzten immer offener zu Tage trat. Nicht alle Strömungen in der AfD haben hierbei einen direkten Kontakt, dennoch wird symbiotische Wechselwirkung aus Teilen der AfD und der Neuen Rechten toleriert. Die erträumten Synergieeffekte einer Mosaikrechten lassen sämtliche Distanzierungen und „Unvereinbarkeitslisten“ obsolet werden. Wie so etwas auf der Straße aussehen kann, zeigte die rechte, lagerübergreifende Großmobilisierung nach Chemnitz am 1. September 2018, wo AfD-Politiker neben Identitären, Pegida-AnhängerInnen, rechten Hooligans und Neonazis durch die Straßen zogen. Eine ähnliche Gemengelage zeigen auch die Coronademos, die von rechten AkteurInnen als „Raum der Offenheit“ (Sellner, 2021) wahrgenommen und agitatorisch genutzt werden. Die neurechten Erfolgsversprechungen eines rechten Tandems aus politischem und metapolitischem Arm verfangen jedoch nicht bei allen in der AfD, jedoch bei einem lauten, umtriebigen Netzwerk vormaliger Flügler und medienaffiner AfD-Nachwuchspolitiker. Bei der Betrachtung von Lagern innerhalb der AfD ist zu beachten, dass sich innerparteiliche Allianzen und gegenseitige Sympathiebekundungen nicht zwingend aufgrund einer Übereinstimmung der politischen Ausrichtung begründen, sondern oftmals aufgrund machtpolitischer Erwägungen (Vgl. Meuthen) vollzogen werden. So besuchte Jörg Meuthen das Flügeltreffen bis 2018 regelmäßig, während er Anfang 2020 die Auflösung des Flügels forcierte. Alice Weidel übte sich hingegen jahrelang eher in Distanz zur Neuen Rechten, die ihren privaten Lebensentwurf hinter vorgehaltener Hand massiv angreifen, bis sie im September 2019 die Sommerakademie des IfS in Schnellroda besuchte und vor einer Mischung aus JAlern, JungfaschistInnen und Identitären referierte. Weidel versuchte offenbar die zunehmende Distanz Meuthens zum Flügel für sich zu nutzen und neue innerparteiliche UnterstützerInnenkreise für sich zu erschließen. Trotz dieser machtpolitischen Spielchen lässt sich die AfD grob in ein marktradikal-ordoliberales und völkisch-nationalistisches Lager einteilen. Während ersteres versucht, sich in der Öffentlichkeit als bürgerliche und neoliberale Partei zu präsentieren, vertritt zweiteres eher einen provozierenden und den Skandal suchend Stil.

Neurechtes Pro-Mandic Meme

Erwähnt werden muss an dieser Stelle, dass trotz der inhaltlichen Unterscheidung, es auch genug Schnittmengen zwischen beiden parteiinternen Polen gibt. Selten kommt es in der Partei zu einer Debatte um die politische Ausrichtung, sondern häufig dominieren machtpolitische und persönliche Differenzen, die 2020 teilweise zu gewalttätigen Auseinandersetzungen untereinander führten. Einzig bei Thema Sozialpolitik prallten die Gegensätze auf einer inhaltlichen Ebene aufeinander und führten zu einem Kompromiss, der unpräzise ist und keiner Seite mehr Einfluss in der Partei verschaffen wird. Auch die rhetorische Unterscheidung ist relativ zu sehen. Noch immer gilt die Maxime, die mit dem Rücktritt von Bernd Lucke 2015 von Frauke Petry forciert wurde, die Öffentlichkeitsarbeit dominiert das Parteileben. Vermeintlich populäre Themen sollen aggressiv in den Medien vertreten werden, um eine größtmögliche Aufmerksamkeit zu generieren. Beide Seilschaften, egal ob Meuthen oder Höcke, praktizieren dies, weshalb die rhetorische Kritik eher auf der semantischen Ebene liegt. Hierbei kritisierte vor allem Meuthen auf dem Parteitag im November 2020, welche Begriffe immer mehr von Parteimitgliedern in der Öffentlichkeit genutzt werden und die einen abschreckenden Effekt vor allem auf bürgerliche Schichten haben würden. Diese Kritik richtete sich vor allem an die völkische Position innerhalb der Partei, die hier eine völlig andere Strategie verfolgt, nämlich die Implementierung und Normalisierung von völkischem Vokabular und Begriffen in den politischen Diskurs. Das völkische Lager nimmt dabei für sich narrativ gerne in Anspruch die Parteibasis zu vertreten, während es bei innerparteilichen Auseinandersetzungen gegen das eigene Establishment aus „Libtards“ und „Cuckservatives“ schießt, das häufig in der Person Meuthen seine Entsprechung findet. Der innerparteiliche Machtkampf ist noch lange nicht entschieden und schwelt weiter, wobei es um Personen, die politisch-strategische Ausrichtung der Partei und vor allem machtpolitische Ränkespiele geht. In der Vergangenheit konnte das völkische, dem Faschismus zugeneigte Lager die meisten Auseinandersetzungen für sich entscheiden und die Radikalisierung der Partei und ihrer Anhänger so vorantreiben. Dieser Kampf geht nun lediglich in die nächste Runde und das völkische-nationalistische Lager schafft Tatsachen und verbündet sich bereits mit dem außerparlamentarischen Arm. Wie dieses neurechte Lager in- und außerhalb der Partei diesen Kampf führt, wie es sich vernetzt und mobilisiert, zeigt die folgende Recherche.

2019: Die Parteijugend wird neu erfunden

Über lange Jahre hat die AfD seit ihrer Gründung ihren Parteinachwuchs vernachlässigt und dieser konnte kaum Wirkung entfalten. 2013 gegründet, wurde die Junge Alternative 2015 in Hannover schließlich als Jugendorganisation des AfD-Bundesverbandes anerkannt. Anfang 2015 war es zu einem offenen Schlagaustausch zwischen liberal-konservativem Lager und Vertretern des nationalkonservativen Flügels auch in der JA gekommen, aus dem Erstere als Sieger hervorgingen. Der Grundstein für eine eher „flügelnahe“ Ausrichtung großer Teile der JA wurde 2015 gelegt. Im Juli 2015 setzte sich Frauke Petry mit 60% der Stimmen auf dem Essener AfD-Parteitag gegen Bernd Lucke durch und läutete so die erste zwar nicht inhaltlichen, jedoch rhetorisch-semantische Rechtsverschiebung innerhalb der AfD ein. Höcke, Gauland und Co. konnten fortan deutlicher artikulieren, was sie schon immer dachten. Wie die AfD als gesamte Partei war auch deren Jugendorganisation von den Machtkämpfen zwischen völkisch-nationalem Flügel und der neoliberal-konservativen selbsternannter „gemäßigten Mitte“ betroffen. Im Januar 2015 wurde Philipp Meyer JA-Vorsitzender. Meyer galt als Lucke-nah, unterzeichnete dessen Gründungsmanifest des Vereins „Weckruf 2015“ und unterstützte das Amtsenthebungsverfahrens gegen Björn Höcke. Damit stieß er innerhalb der JA auf wenig Gegenliebe und wurde bereits im Mai 2015 seines Amtes enthoben und durch Markus Frohnmaier und Sven Tritschler ersetzt. Ein Rechtsruck auch in der Jungen Alternative, denn Frohnmaier zeigte bereits Nähe zur Identitären Bewegung und auch Burschenschaftler Tritschler gibt sich eher „flügelnah“.

In diesem Richtungsstreit ging es so weit, dass liberalere Mitglieder aus der JA gedrängt wurden. Trotz dieser generell eher „flügelnahen“ Ausrichtung der Jungen Alternative glichen sich die einzelnen JA Landesverbände ihrem jeweiligen AfD Landesverband an. Somit unterscheidet sich die JA in den verschiedenen Bundesländern in Radikalität und der Offenheit zur extrem rechten Szene, um die Gunst und Unterstützung eines gegebenenfalls gemäßigteren AfD Landesverbandes nicht zu verlieren.

Bereits damals bezeichnete der Sozialwissenschaftler und Experte für die Neue Rechte Alexander Häusler die JA treffend als „Brückenkopf“ der Neuen Rechten in die Partei. Seit der Gründung rekrutiert die AfD ihren Parteinachwuchs auch aus dem neurechten und burschenschaftlichen Milieu. Personelle Überschneidungen und regionale Zusammenarbeit mit der Identitären Bewegung wurden immer wieder bekannt. Diese Annäherung und partielle Verschmelzung zwischen Partei und neurechtem Vorfeld vollzieht sich zum einen auf ideologisch-strategischer Ebene aber auch ganz konkret über Akteure und Netzwerke.

Im Januar 2019 hatte die JA nach eigenen Angaben 1655 Mitglieder von denen nahezu alle zugleich Mitglied der AfD waren. JA-Mitglied kann man vom 14. bis zum 36. Lebensjahr sein. Eine gleichzeitige Mitgliedschaft in der AfD ist nicht erforderlich. Im Gegenzug dazu sind Mitglieder der AfD, die jünger als 36 Jahre alt sind, auch nicht automatisch Mitglied der Jungen Alternative.

Parteijugendorganisationen treten häufig aktionistischer und direkter auf, als ihre Erwachsenenebene. Bei der „Jungen Alternative“ bedeutet dies eine extrem rechte Ausrichtung, die in dieser Form zwar auch bei ihrer Mutterpartei inhärent ist, jedoch aus taktischen Gründen rhetorisch geschickter verpackt wird. Spätestens seit Beginn der Beobachtung des JA-Bundesverbandes und einzelner Landesverbände durch den Verfassungsschutz ab 2018/2019 musste die AfD reagieren. Die Partei musste ihre Jugendorganisation in die Schranken weisen, um weiteren Schaden zu verhindern. Das Programm wurde entschärft, Mitglieder mussten die Jugendorganisation verlassen und die Junge Alternative erhielt ein Makeover inklusive neuem Design.

Das Image der „grauen Maus“ sollte die JA im Herbst 2019 ablegen. Dazu wurde eine umfassende Imagekampagne samt Corporate Design und Social Media-Offensive gestartet. Im September kündigte die JA an, ihren „Markenkern“ zu erneuern. Gemeint ist das zuvor eher phantasielose Logo der JA, das von nun an aus einer stilisierten blauen Flamme besteht. Die Flamme symbolisiere das „Feuer“, sowie „Leidenschaft und Stärke“. Was sie für junge Rechte, vor allem Neurechte jedoch auch symbolisiert, ist der Bezug zum Faschismus. Nicht umsonst wird die Flamme als Symbol in neurechten, identitären Kreisen vielfältig genutzt. Eine stilisierte Flamme zieren unter anderem die Logos des ehemaligen identitäre Hausprojektes in Halle („Flamberg“), des geplanten rechten Szenetreffs des identitären Rechtsrappers Christoph „Ares“ Zloch („Leuchtfeuer“) und der neurechten Theoriegruppe Junge Flamme. Ählichkeiten bestehen ebenso mit dem Logo der verbotenen Heimattreuen Deutschen Jugend, in der nicht nur Andreas Kalbitz jahrelang Mitglied war, sondern auch Identitäre und Akteure aus der Neuen Rechten politisch sozialisiert wurden. Eine derartige Flamme zierte auch die Uniform der Arditi, die italienischen Sturmtruppen im 1. WK, die in vielerlei Hinsicht Vorbild für faschistische Bewegungen waren. Nach dem 2. Weltkrieg wurde die Fiamma Tricolore Parteisymbol des neofaschistischen Movimento Sociale Italiano, aus der unter anderem die neofaschistische Casa Pound hervorging, die der IB jeher zugleich Vorbild und Partner war und ist. Die IB und die Neue Rechte beziehen sich in vielerlei Weise positiv auf den italienischen Faschismus, sei es über Kontakte zu Casa Pound, den Schwarzhemden-Look, die Symbolik oder die Literatur von Ezra Pound. Doch nicht nur das Logo bekam eine Generalüberholung. Fortan gehörten einheitliche Sharepics, professionelle Fotos und seriöse Internetauftritte zur „neuen“ JA.

Eine neue Medienstrategie erhielt Einzug. Die JA lernte und profitierte dabei vom neurechten Vorfeld, das vor allem die IB praktizierte, wie wichtig eine professionelle mediale Außendarstellung ist. Gezielt wurden jugend- und subkulturelle Bereiche identifiziert, die großen Einfluss auf Jugendliche haben: InfluencerInnen, Rapmusik, Gaming. Das Ziel ist der Aufbau einer „Gegenkultur“. Dieser euphemistische Begriff für einen xenophoben, frauenverachtenden und sozialdarwinistischen Propagandaapparat könnte sich dann gegen eine als feindlich imaginierte „Matrix aus Politik, Presse und Wirtschaft“ (Sellner, 2020) ankämpfen und eine rechte Hegemonie erkämpfen. Für die Neue Rechte sind alle jene Feinde, die sich für soziale Gerechtigkeit und Umweltschutz, gegen Homo-, Trans und Frauenfeindlichkeit, eine emanzipatorische Lebensweise oder gegen Rassismus aussprechen. Dies verdeutlicht auch ihr aus den USA importierter Feindbegriff der Social-Justice-Warrior (auch: SJW). Voller Neid wird dabei auf die hegemonialen Errungenschaften der 68er geschielt und quasi eine zeitgemäße Copy-Paste Variante von rechts probiert. Eine „gegenkulturelle“ Kulturrevolution von rechts ist dabei Bedingung für eine neue faschistische Gesellschaft.

Diese Annäherung und partielle Verschmelzung zwischen AfD und neurechtem Vorfeld vollzieht sich zum einen auf ideologisch-strategischer Ebene aber auch ganz konkret über Akteure und Netzwerke.

Strategie und Organisation

Medienoffensive dank Expertise aus der Neuen Rechten

Dünzel und Vogel als Medien-Referenten bei der AfD-NRW

Ab 2018 fand infolge des Niedergangs der IB eine Ausdifferenzierung der Gruppe statt, die in diversen Medienprojekten und neurechten Ich-AGs mündete. Neben den identitären Projekten Okzident-Media und Kvltgang, gründete der Leipziger IB-Regionalleiter und Influencer Alexander „Malenki“ Kleine seine eigene Medienfirma Tannwald Medienagentur. Zusätzlich investierte die neurechte NGO EinProzent in Person von Simon Kaupert massiv, der sich vor allem professionelle Aufnahmetechnik zulegte. Diese Technik und Expertise steht auch der AfD und der JA mittlerweile zur Verfügung Die Medienarbeit der extremen Rechte sollte dahingehend weiter professionalisiert werden.

Foto nach dem Videodreh: Alexander Jungbluth, Pascal Bähr, Justin Salka, Alexander Kleine, Reinhild Boßdorf

Die Tannwald Medienagentur wurde in diesem Sinne im September 2020 von der JA Rheinland-Pfalz beauftragt einen Werbefilm zu drehen. Beim Dreh anwesend waren neben den JA’lern Pascal Bähr, Justin Cedrik Salka (auch IB-Aktivist) und Alexander Jungbluth (Landesvorsitzender der Jungen Alternative Rheinland-Pfalz), auch die langjährigen identitären Kader Alexander „Malenki“ Kleine und Reinhild Boßdorf, die immer noch die zentrale Figur in der IB-nahen Frauengruppe „Lukreta“ ist. Der über Instagram angekündigte JA-Imagefilm wurde bislang jedoch nicht veröffentlicht.

Parallel startete die AfD eine Offensive in den sozialen Medien, wo Identitäre und Neue Rechte bereits seit Langem vertreten waren und damit Starthilfe sowie Expertise geben konnten. AfD-Politiker und Mitglied des Landtages in NRW Roger Beckamp lobte im Juni 2020 ein mit 500 Euro pro Monat dotiertes „Stipendium für die Gegenöffentlichkeit“ aus, mit dem er seit Juli einen freiberuflichen Programmierer aus Norddeutschland bei der Entwicklung eines „Analyse-Tools zur politischen Medienberichterstattung“ unterstützt. Zudem sponsert er einmalig mit jeweils 1000 Euro einen „Gaming- und Videoblogger aus Baden-Württemberg“, sowie einen „jungen Instagram-Influencer“ bei der Produktion von politischer Memes. Beckamp der offen mit der Neuen Rechten und Schnellroda sympathisiert, zeigt auch keinerlei Berührungsängste mit der IB, deren Mitglieder für ihn in Köln als Plakatiertrupp unterwegs waren. Beckamp war es auch, über den 2020 nach einer Recherche von Netzpolitik und Bento bekannt wurde, dass er mit den Identitären Christian Schäler und Tim Beuter zusammenarbeitete, die als AfD-Mitarbeiter die extrem rechte Buzzfeed-Kopie „Fritzfeed“ aufbauten. Beckamp wurde mittlerweile von Instagram wegen Hatespeech gesperrt, genaue wie Marie-Therese Kaiser, die sich jedoch einen Zweitaccount anlegte.

Meme-Workshoip von Martin Sellner auf dem IB-Bundeslgaer in Woschkow

Wie sie, weiß er, um die Wirkmächtigkeit der memetic warfare, die beispielsweise bei der Wahl Donald Trumps zum US-Präsidenten 2016 eine wichtige Rolle spielte. Mittlerweile existieren u.a. mit „afd.memes“ und „conservative_memes_fy“ auf Instagram zahlreiche neurechte Meme-Accounts. Die Medienoffensive der Rechten umfasste auch zwei Youtube-Kanäle, auf denen sich die langjährigen identitären Kader Freya Honold („Freya Rosi“, ab Juni 2020) und Reinhild Boßdorf („Rein Weiblich“, ab Mai 2020) als Influencerinnen versuchen. Honolds professionell und zunächst unverfänglich daherkommende Videos werden vom EinProzent-Medienteam um Simon Kaupert produziert. Mit der Identitären Annie Hunecke aus München steht bereits die nächste Instagram-Influencerin in den Startlöchern. Kaupert veröffentlichte im September 2020 einen langatmigen Imagefilm mit ihr. So finden Identitäre in anderen Strukturen erneut zueinander und können ihre Agenda, nun bezahlt, weiterverfolgen. Kaupert produzierte für EinProzent ebenfalls Imagefilmchen für die rechte „Gewerkschaft“ „Zentrum Automobil“ sowie für Pegida und Querdenken. Begeistert werden Straßenmobilisierungen mittels motivierender Jubelszenen in Szene gesetzt und offen mit ihnen sympathisiert.

Der Niedergang der Identitären führte neben der Ausdifferenzierung auch zu einem stärkeren Rückzug ins Digitale. Dabei sind vor allem Telegram und Instagram, mit Abstrichen auch YouTube, Medienräume zur Beeinflussung. Während jedoch Telegram und YouTube eher als einseitige Übermittler von Informationen und Ideologie genutzt werden, gibt Instagram durch seine interaktive Struktur viel Aufschluss über die synergetischen Netzwerke zwischen vorpolitischem und parteipolitischem Arm. Zuletzt hatte Correctiv dazu eine ausführliche Datenanalyse vorgelegt. Die AfD nahm diese Medienoffensive ihres politischen Vorfeldes begeistert auf und versuchte ab 2020 vor allem über ihren Parteinachwuchs selbst in den sozialen Medien, Personen zu positionieren.

Teilnehmende 2019

Bereits 2019 führte die AfD im Bundestag ihre „Erste Konferenz der freien Medien“ durch, die ein interessantes Netzwerk offenbarte. Zu Gast waren damals bereits extrem rechte Influencer und auch das neurechte Vordenker-Pärchen aus Schnellroda Götz Kubitschek und Ellen Kositza. Ebenfalls geladen und anwesend waren Philip Stein und Simon Kaupert als Vertreter des neofaschistischen Jungeuropa-Verlages sowie der neurechten NGO EinProzent, der Identitäre Kader Daniel Sebbin für die identitäre Medienagentur Okzident Media und das IB-nahe Magazin Arcadi in Person von Yannik Noé. Bei der zweiten Auflage im Oktober 2020 waren der Schnellroda-nahe AfD-Berater Thor Kunkel, die österreichischen Identitäre Roman Möseneder und Alexander Schleyer, sowie erneut der extrem rechte Influencer Hagen Grell zu Gast. Grell nutzte seine Rede für Bürgerkriegsrhetorik und begann seine Rede mit: „Stellen sie sich vor wir wären im Krieg“. Der Identitäre und neurechte Publizist Jonas Schick („Die Kehre“) drückten seine Kränkung, ob seiner Nicht-Einladung anschließend in einem Artikel in der Sezession aus. Trotzdem wird der Wunsch der AfD nach einer ihr wohlgesonnen Medienarbeit deutlich, die als Netzwerk auch extrem rechte Akteur*innen einschließt. Im Interview mit Correctiv bestätigt mit dem Berliner JA-Vorsitzenden Vadim Derksen, eine zentrale medienpolitische Figur, diesen Trend. „Jung, agil und attraktiv“ möchte die JA über Instagram wirken, so Derksen. Er bestätigte zudem, dass sich die JA zurzeit ausprobieren und „professionalisieren“ möchte, um sich über Instagram für Jugendliche und junge Erwachsene anzubieten. Das professionelle YouTube- bzw. Video-Pendant nennt sich JA-TV und bietet mit Patria, Kuppeltalk und Auf einen Glühwein (JA-NRW) verschiedene Talk- und Interviewformate. Die politische Ausrichtung der JA wird allein durch die in den letzten Monaten beim Kuppeltalk interviewten AfD-PolitikerInnen deutlich, die sich wie eine Aufzählung der extrem rechten AfD-Hardliner lesen: Dirk Spaniel, Sebastian Münzenmaier, Roland Hartwig, Ronald Gläser, Peter Boehringer, Stefan Brandner, Jan Nolte. Allesamt Namen, die in der Vergangenheit bereits durch offen menschenverachtende Äußerungen und Verbindungen für Skandale sorgten und klar dem aufgelösten Flügel beziehungsweise dem völkisch-nationalistischen Lager zuzurechnen sind. Dieselben Leute betreiben auch, ganz metapolitisch, eigene YouTube-Kanäle. Die beiden mit der IB verbandelten AfD-Politiker Roger Beckamp und Hans-Thomas Tillschneider bieten sogar regelmäßige eigene Formate an. Hansjörg Müller, Dirk Spaniel, Sebastian Münzenmaier, Peter Boehringer oder Stefan Brandner pflegen ebenfalls eigene YouTube-Kanäle. Die großen offiziellen Kanäle der AfD firmieren unter AfD-TV und AfD-Fraktion Bundestag mit je rund 100.000 Abonnent*innen. Auch hier zeigt sich ein Schwerpunkt der Parteiarbeit ein Netzwerk von eigenen Angeboten zu schaffen, um auf größere Medienunternehmen nicht angewiesen zu sein.

Medienoffensive von AfD und JA

Zurück zur JA: Die JA-Bayern nutzt für ihre „jugendpolitische Arbeit“, wie die IB und das extrem rechten Netzwerk Reconquista Germanica, die Anonymität der Onlinedienstes Discord. Dort bietet sie regelmäßige Online-Stammtische, Gaming Abende oder ihr Diskussionsformat „Heimat Hangout“ an. In letzteres wurde am 28. Juli 2020 Aron Pielka eingeladen, der im Internet jahrelang anonym als „Shlomo Finkelstein“ bzw. „Die vulgäre Analyse“ zutiefst menschenverachtende Inhalte verbreiten konnte, bevor er wegen Hatespeech von YouTube gelöscht wurde. Dass er in seinen Videos den Koran verbrennt, auf ihm Schweinefleisch grillt oder auf das heilige Buch der Muslime pinkelt (Vgl. Belltower-Artikel), scheint ihn für die JA-Bayern zu einem interessanten Interviewpartner werden zu lassen.

Die JA-Berlin um Vadim Derksen ist ebenfalls medial virulent. Sie besitzt ein eigenes Filmstudio und produziert neben zahlreichen Interviews auch die regelmäßigen Formate „Patria Berlin“ und „Hauptstadtpatrioten“ mit Ferdinand Vogel, Martin Kohler und Vadim Derksen, die sich eher hölzern daherkommend als lässige Influencer versuchen. Vogel war federführend beim Aufbau von JA-TV.

Die JA-Brandenburg versucht es seit Dezember 2020 mit einem eigenen Podcast-Format auf YouTube. In der ersten Folge von Mit offenem Visier interviewt der auch für die identitäre Zeitschrift Tagesstimme schreibende Marvin Timotheus Neumann, Vorstandsmitglieder der JA-Brandenburg, den ehemaligen Chemnitzer Neonazi und schon länger nach Schnellroda ins neurechte Lager übergewechselten Benedikt Kaiser.

Am 1. Februar 2020 organisierte die Junge Alternative in Düsseldorf eine „Netzpolitische Ideenwerkstatt“, die von der digitalpolitischen Sprecherin der AfD-Bundestagsfraktion Joana Cotar geleitet wurde. Als Experten wurden der AfD-Youtuber und Politiker Homib Mebrahtu („Hyperion“) und der IB-nahe aus Essen stammende Influencer Klemens Kilic geladen.

Am 22. August 2020 referierten die JA-Influencer Ferdinand Vogel und Jonas Dünzel bei der JA-NRW zu Social Media und Öffentlichkeitsarbeit. Zudem gründete die AfD-NRW eine „NRW-Mediengruppe“ in der u.a. der auf Instagram virulente Carlo Clemens aktiv ist. Neben den regionalen Projekten existiert seit 2019 die vierteljährlich auch online erscheinende Mitgliederzeitschrift „Patria“. Den Großauftrag dazu, sowie den Auftrag, den Online-Shop der JA aufzubauen und zu verwalten, erhielt Yannik Noé, der ebenfalls seit Jahren die Nähe zur IB sucht und diese unterstützt. Als Strippenzieher hinter dem neurechten Arcadi-Magazin und Arcadi-Musik war Noé für die JA offenbar der Richtige. Dabei nutzt er die Mitgliederzeitschrift auch für seine geschäftlichen Zwecke, indem er Werbung für Arcadi-Musik, den Arcadi-Verlag und „seinen“ JA-Online-Shop schaltet.

Als einzige nicht zu Noé gehörendes Unternehmen schaltet dort die Hbg-IT e. K. aus Lüdinghausen Anzeigen. Dieses Einzelunternehmen von Dominik Habichtsberg beschreibt sich als aus „überzeugten Parteimitgliedern“ bestehend, die genau wüssten „worauf es ankommt“. Schließlich würden sie für über 100 AfD-Kreis- und Bezirksverbände, AfD-Landesverbände, den AfD-Bundesverband sowie die AfD-Bundestagsfraktion und mehrere Gliederungen der JA, Webpräsenzen betreuen.

Scharnierfunktion zwischen Partei und ehemaligen identitären Strukturen haben dabei neben EinProzent vor allem die in den letzten Jahren entstandenen (neu-)rechten Medien. Zum einen sind dies digitale Formate wie Blogs oder regelmäßige Podcasts, Streams und Videos, die mal anonym, mal von in der rechten Szene bekannte InfluencerInnen betrieben werden. Dazu zählen unter anderem Martin Sellner, Hagen Grell, Klemens Kilic, Ignaz Bearth, Feroz Khan samt Blog Achse Ost:West, Unblogd von Miro Wolsfeld, Irfan Peci, Die Schwarze Fahne, der Blog Achgut.com, Aufbruch&Erneuerung, Kanal Schnellroda oder der EinProzent-Podcast Lagebesprechung, sowie die Videoformate Laut Gedacht, Wir klären das! und Kulturlabor von EinProzent. Aufgrund von Hatespeech wurden zahlreiche dieser Accounts von den großen Plattformen verbannt, weshalb diese sich nun auf DLive, Bitchute oder neuerdings auch Odysee oder Trovo wiederfinden. Zum anderen gibt es zahlreiche Printerzeugnisse, die sich als neurechtes AfD-Vorfeld verstehen. Hierzu gehören seit jeher beispielsweise die neurechte Wochenzeitung Junge Freiheit, das Compact Magazin, die neurechte Zeitschrift Sezession aus Schnellroda, das Freilich Magazin oder die Jugendmagazin Blaue Narzisse. Neuer sind hingegen die Printerzeugnisse des neofaschistischen Jungeuropa-Verlages, das konflikt Magazin, das neurechte Öko-Magazin Die Kehre, die neurechte Monatsschrift eigentümlich frei und die IB-nahen Magazine Krautzone, Anbruch und Arcadi.

Carlos Clemens (AfD) macht Werbung für die Comics von EinProzent

Das im Sommer 2020 gegründete konflikt Magazin nimmt dabei momentan eine besondere Stellung ein, indem es an der Schnittstelle zwischen Neuer Rechte, JA und völkischem AfD-Flügel arbeitet und vernetzt. Auch hier wurde der erste Podcast mit Benedikt Kaiser gefüllt, was einem Bekenntnis zum neurechten Lager gleichkommt. Vor allem dient es dem völkischen Lager in- und außerhalb der AfD als Sprachrohr. Zu Wort kommen dabei neben extrem rechten AfD-Hardlinern auch die IB-Sympathisanten Patrick Pana, Johannes Schüller und Julian Schernthaner. Das konflikt Magazin arbeitet dabei anonym. Interessanterweise ist im Impressum derselbe Autorenservice in Fulda genannt, der auch für Arcadi seine Adresse hergab. Hinzu kommen die von EinProzent finanzierten Publikation Hydra Comics oder das Computerspiel Heimat Defender. Diese unvollständige Aufzählung ist durchaus beachtlich und deckt neben einer breiten inhaltlichen Ausrichtung von konservativ-autoritär bis hin zu offen neofaschistisch, auch verschiedene Medienkanäle und damit verbundene Zielgruppen ab. In Österreich gibt es mit Info-direkt, Die Tagesstimme und dem Wochenblick funktionsgleiche, neurechte Medien an der Schnittstelle zwischen der Identitären Bewegung und der FPÖ. An dem aktions- und gewaltaffinen Identitären Roman Möseneder, der mittlerweile im Vorstand der FPÖ-Jugend in Salzburg aktiv ist, zeigt sich gut, wie die Hemmungen der Rechtsaußen-Parteien fallen, auch einschlägig bekannte Rechtsextremisten in ihre Reihen aufzunehmen. Der Identitäre Roman Mösender besuchte im Oktober 2020 zusammen mit VertreterInnen des neurechten Arcadi Magazins auf Einladung der AfD den Deutschen Bundestag. Fotos davon posteten diese in ihren Stories bei Instagram. FPÖ-Politiker Michael Schnedlitz kündigte bezogen auf diesen Fall zudem an, dass es mit der „Distanzierei“ endgültig vorbei sei, was im Lager der Identitären Bewegung für Jubelstürme sorgte. Parteichef Norbert Hofer geriet deshalb unter Druck und äußerte sich zurückhaltender. Am 27. Mai 2020 organisierte Arcadi in Person von Yannick Noé eine Youtube-Liveschaltung zu der Frage „Ist die AfD noch zu retten?“ mit den Gästen Maximilian Kneller (AfD Bielefeld) und Roman Möseneder. Hier zeigt sich die Funktion von Arcadi noch einmal wie in einem Brennglas: Identitäre und AfDler werden zusammengebracht.

Deutlich wird, dass es sich bei der zuvor skizzierten Medienarbeit nicht lediglich um einige medienaffine rechte Einzelpersonen oder individuelle Projekte handelt, sondern dies seit geraumer Zeit zur bewussten medialen Raumergreifungsstrategie der AfD und ihres Umfeldes gehört. Auch wenn viele Strukturen von der AfD unabhängig agieren, schaffen sie durch ihre LeserInnen und ZuschauerInnen ein rechtes Milieu, eine Art „Gegenkultur“.

Metapolitik statt Parteipolitik

Auch Wehrmachtssprüche gehören zu WolfPMS´ „Kunsprodukten“

All die beschriebenen Medienprojekte zielen nicht auf direkte Werbung oder Unterstützung der AfD ab, sondern sollen ganz im Sinne der „Metapolitik“ indirekt beeinflussen. Gesellschaftliche Bereiche wie Kultur, Musik, Sport, Kunst und subkulturelle Milieus sollen erschlossen und als Vehikel in die gesellschaftliche Mitte genutzt werden. Beispielhaft stehen dafür die identitären Nazirapper vom Neuen Deutschen Standard, der Maler Wolf PMS, das Kultivieren sportlicher Ertüchtigung als regionale Untergruppe einer Wanderjugend oder Kraft- und Kampfsportler sowie das Entwickeln eines Computerspiels der IB. Beispielhaft deshalb, weil sie sowohl für die neurechte als auch für die Neonaziszene Content produzieren. Wolf PMS wurde bekannt durch seine kalligrafischen, politischen Schriftbilder, die er für die Identitäre Bewegung z.B. im Rahmen der rechten Kunstveranstaltung „Bilderstürmer“ in Halle produzierte. Mittlerweile arbeitet er auch für das neonazistische Kampfsportevent Kampf der Nibelungen und EinProzent.

Nach dem überraschenden Rückzug des identitären Rappers Chris Ares (1, 2), versuchen sich Kai Naggert (1) und Andre Laaf weiterhin als Rapper, suchen nun jedoch immer offener den Schulterschluss mit organisierten und militanten Neonazis in der Region Bautzen/Ostsachsen. Ankündigungen eines neuen Albums wurden auch von den neonazistischen Strukturen „Opos Records“ und erneut „Kampf der Nibelungen“ wohlwollend geteilt, weshalb die Bezeichnung Nazirapper immer zutreffender wird. Das spiegeln auch die Fans wider, die immer offener ihre menschenfeindlichen Einstellungen kundtun. Anfang 2021 trennten sich schließlich die Wege von Produktionsfirma Arcadi-Musik (1) und dem Neuen Deutschen Standard. Auf dem mittlerweile erschienenen Album darf mit „Runa“ zum ersten Mal auch eine Frau mitrappen. Mona „Runa“ Naggert (Frau von Kai „Prototyp“ Naggert) soll dabei vermutlich nun auch junge Frauen (und Männer) ansprechen und für die bisherige Männerdomäne des Nazi-Raps begeistern. Wie erfolgreich das Ganze sein wird, bleibt abzuwarten. Zumindest ist es ein Bestandteil einer Strategie, die sich in immer mehr rechten Gruppierungen durchzusetzen scheint, eine Art „rechten Feminismus“, dem sich Akteurinnen wie Reinhild Boßdorf, Marie Thérèse Kaiser oder Melanie König (ehemals Schmitz) zurechnen lassen. Parallel dazu wird über zahlreiche Instagram-Accounts rechter Frauen, wie z.B. streitmacht.der.frau, sinja.runa, heimatgruss oder freyarosi das Leben als Hausfrau oder „Tradwife“ glorifiziert.

Die Fetischisierung von Körperkult und Wehrsportübungen wurde und wird in Lagern der Identitären Bewegung betrieben, während Neonazis dies bereits in Kampfsportveranstaltung wie Tiwaz oder Kampf der Nibelungen professionalisiert haben. Neben geschulten Influencer*innen versucht die Identitäre Bewegung auch über das Computerspiel Heimat Defender, nerdige Memes und Symbole der maskulinistischen Incel-Bewegung die Generation der Digital Natives abzuholen. Björn Höcke und das AfD-Vorzeigegesicht Marie-Thérèse Kaiser und etliche JA’lerInnen warben ebenfalls für dieses Spiel, dessen Hauptentwickler Roland Moritz zugleich Leiter der Identitären Bewegung Öberösterreichs ist. All dies sind Versuche, vor allem jungen Menschen Anknüpfungspunkte an die extreme Rechte bereitzustellen und darüber eine hegemoniale Wirkung zu erzielen.

Nicht anders sind auch die krampfhaften Versuche zu verstehen, die verschwörungstheoretischen und sozialdarwinistischen Demos gegen die Maßnahmen zur Bekämpfung der Corona-Pandemie zu unterwandern und für sich zu vereinnahmen. Für die Querdenken-Großdemonstration in Berlin mit angekündigtem und erfolgtem „Reichtagssturm“ mobilisierte die gesamte „Mosaikrechte“ und so fanden sich neben gewaltbereiten und organisierten Neonazis und Hooligans aus dem gesamten Bundesgebiet sowie der NPD gleichfalls auch zahlreiche AfD-Politiker*innen ein – nahezu die Hälfte der AfD-Bundestagsfraktion! Unter anderem der bayerische Verfassungsrichter Rüdiger Imgart, sowie Stefan Keuter, Udo Hemmelgarn, Reimond Hoffmann und auch Matthias Helferich samt Begleitung. Der Rathenower JAler Gavin Singer beteiligte sich am Reichtagssturm, während der bayerische Flügler und AfD-MdB Hansjörg Müller gemeinsam mit den Nazirappern um Chris Ares den Versuch unternahm eine Polizeiabsperrung anzugreifen, wie die Fotos des Zentrums Demokratischer Widerspruch belegen.

Hansjörg Müller beim Angriff neben den IB-Rappern Andre Laaf und Chris Ares

Dünzel & Derksen mittig mit ihren Plakaten

Die JA hatte zuvor eigens Plakate mit verschiedenen Inhalten und dem Hashtag #berlinerfreiheit drucken lassen und sie auf der Demo präsentiert. Daran beteiligt waren unter anderem die medienaffinen JAler Jonas Dünzel, Justin Cedrik Salka und Vadim Derksen. Dünzel hatte vorher bereits über Instagram mobilisiert und von einer, frei nach Volker Weiß autoritären Revolte träumend angekündigt: „Samstag wird ein historischer Tag“. Dünzel rief auch während des zeitweiligen Verbotes der Demonstration weiter dazu auf, diese zu besuchen. Dünzel und Salka posteten auch während des Aufmarsches immer wieder Stories auf Instagram. Justin Cedrik Salka kommentierte dabei den Sturm auf den Reichstag belustigt mit „lol“ (laughing out loud). Ein weiteres Bild zeigt ihn mit Rene Fränken, AfD Kandidat im Landkreises Altenkirchen, und der Bildunterschrift „Ehre-Treue-Freundschaft“, eine Ausdrucksweise die in abgewandelter Form auch gerne in burschenschaftlichen Kreisen verwendet wird. Der Brandenburger JAler Gavin Singer musste schließlich aus der JA austreten, nachdem Fotos und Videos von ihm beim „Reichtagssturm“ öffentlich wurden. Seinen Austritt gab er über die neurechte Wochenzeitung Junge Freiheit bekannt. Gerade die Demonstrationen 2020 zeigten einen offeneren Schulterschluss von Teilen der AfD mit Gruppen wie der IB, Pegida oder Querdenken.

Der Identitäre und AfDler Justin Salka belustigt über den Reichstagssturm

Verschwimmende Grenzen für eine Mosaikrechten

Zunehmend lassen die Akteur*innen die Grenzen zwischen den verschiedenen Lagern verschwimmen. Öffentliche Distanzierungen und Unvereinbarkeitsbeschlüsse werden von den Aktivitäten in den sozialen Netzwerken ad absurdum geführt. Wo in der praktischen Zusammenarbeit noch etwas zögerlich und vorsichtig die Annäherung gesucht oder gar bewusst geleugnet wird, wächst online bereits zusammen, was zusammengehört. Gestandene AfD-PolitikerInnen und ihre JA-NachwuchskollegInnen sind dort bereits eng mit dem neurechten Vorfeldorganisationen und anderen Netzwerken verbandelt, befreundet und teilen wohlwollend deren Inhalte und Projekte. Dabei verschwimmt die Neue Rechte und die ihr zuzurechnenden Accounts in zwei Richtungen: zur einen Seite in Richtung JA und AfD und zur anderen Seite hin zu offen neonazistischen Strukturen wie dem Kampf der Nibelungen, der NPD und der Kameradschaftsszene. Die Hemmschwelle, mit einem Klick Zustimmung oder Gefallen auszudrücken, ist natürlich deutlich geringer, als auf einer NPD-Demonstration mitzumarschieren. So agiert die Neue Rechte als als virtuelles Scharnier zwischen Partei und offen neonazistischen Strukturen. Der langgehegte Plan von Götz Kubitschek und Benedikt Kaiser ist damit zumindest in den sozialen Medien bereits in vielen Fällen Realität: Grenzen innerhalb der Rechten verschwimmen. Ein erster Schritt hin zur propagierten „Mosaikrechten“ existiert.

Diese Netzwerke erkennt sogar ein AfD-Mitglied beim AfD-Parteitag in Kalkar 2020 (Vgl. Video). Höcke ist dabei Vorreiter, der seit Jahren offen mit seinen freundschaftlichen Kontakten nach Schnellroda und EinProzent hausieren geht. Im November warb er dann auch mehrfach für das vom identitären IB-Regionalleiter Oberösterreichs Roland Moritz entwickelten Propagandaspiel Heimat Defender. Der stellvertretende Landessprecher der AfD-NRW und Dortmunder Stadtrat Matthias Helferich erklärt mit Bezug auf das neurechte Magazin „Krautzone“, dass „alternative Medien gut und wichtig“ seien und teilt dabei bewusst einen Beitrag über die langjährige Identitäre Reinhild Boßdorf. Die rechten AfD-Hardliner Hans-Thomas Tillschneider und Reimond Hoffmann fahren bereits 2018 mit einer JA-Delegation zur 19. IfS-Sommerakademie nach Schnellroda. Dort treffen sich zu Winter- und Sommerakademien ausgewählte Mitglieder der Identitären Bewegung und der AfD-Parteijugend, um Reden neurechter Vordenker und AfD-Politikern zu lauschen. Schnellroda ist damit ein Ort der Vernetzung zwischen Partei und ihrem Vorfeld. Bücher, Souvenirs und Fotos aus Schnellroda werden in JA-Kreisen wie Trophäen präsentiert, die dem Eigentümer einen elitären Anstrich verleihen. Jonas Vriesen, Vorsitzender der JA-Bielefeld, posiert beispielsweise stolz am Ortseingangsschild von Schnellroda, wo er am 21. Mai 2016 der Lesung des homophoben und wegen Volksverhetzung (Pegida-Rede: u.a. „Moslemmüllhalde“) verurteilten Schriftstellers Akif Pirincci beiwohnte. Auf Bildern seines Instagram-Accounts posiert er mit seiner IfS-Maske aus Schnellroda und zeigt damit deutlich, dass er sich der extremen Rechten zugehörig fühlt.

Hans-Thomas Tillschneider mit seinen JA-Jüngern, u.a. Patrick Pana und Reimond Hoffmann

Vriesen und Pirincci

Während der parteiinternen Auseinandersetzung um Andreas Kalbitz ergreifen zahlreiche JA-Landesverbände Partei für diesen und spielen die Tatsache, dass er offenbar Mitglied der verbotenen neonazistischen Kaderorganisation „Heimattreue Deutsche Jugend“ war, herunter. Die in Flügel-Kreisen abfällig als „Distanzeritis“ bezeichnete parteiliche Abgrenzung gegenüber neonazistischen und neurechten Strukturen, wie sie der „Unvereinbarkeitsbeschluss“ fordert, zeigt auch, dass dieser Beschluss für große Teile der AfD praktisch nicht zählt. Immer wieder wurden beispielsweise bekannte IB-Kader als Mitarbeiter oder direkt als Nachwuchspolitiker beschäftigt und in Parteikreise aufgenommen. Die Junge Alternative Sachsen-Anhalt fordert sogar ganz direkt ein Bekenntnis zum „vorpolitischen Raum“ und Solidarität mit Projekten, die diesem entstammen. Konkret ging es dabei um einen geplanten rechten Szenetreff des identitären Rechtsrapper Chris Ares, der jedoch aufgrund von politischem und zivilgesellschaftlichem Gegenwind in Bischofswerda nicht eröffnen konnte. Daraufhin bot Tillschneiders AfD-Verband Saalekreis dem IB-Rapper an, sich für seinen Szenetreff in ihrem Wahlkreis stark zu machen.

 

EinProzent gehört für alle Teilnehmenden beim JA-Bundeskongress 2019 zur Grundausstattung

 

 

Marie-Thérèse Kaiser, Kreisvorsitzender der AfD-Rotenburg, empfiehlt über ihren Instagram-Kanal, Videos des IB-Chefideologen Martin Sellner. Carlo Clemens empfiehlt die von EinProzent finanzierten Hydra Comics über den faschistoiden, selbstmörderischen Yukio Mishima, der von der IB auf Plakaten und Shirts glorifiziert wird.

Die bereits vom Verfassungsschutz beobachtete Junge Alternative Brandenburg lässt Tassen mit dem Slogan „Es ist OK weiß und deutsch zu sein“, eine Anspielung den Slogan von weißen Suprematisten aus den USA verbreiteten Spruch „It´s ok to be white“. Eine andere Tasse der Jungen Alternativen zeigt eine schwarz-rot-gold hinterlegte Nahaufnahme von Gaulands Gesicht, mit den von ihm formulierten Aufforderungen #Jagen und #Entsorgen.

Für den streitwütigen AfD-Parteitag in Kalkar Ende November 2020 ließ die JA eigens schwarze Masken mit der unmissverständlichen aufgedruckten Botschaft „Rechts“ produzieren. Diese Masken dienten dem völkisch-nationalistischen Lager gleichzeitig als Erkennungszeichen und demonstrierten ein einheitliches Auftreten. Zugleich galt diese Botschaft an Götz Kubitschek und Identitärer Bewegung, die seit Jahren daran arbeiten, „rechts zu sein“ zu rehabilitieren und zu normalisieren. Die JA machte damit deutlich, dass sie auch vor parteiinternen Provokationen nicht zurückschreckt, da sie auch namhafte AfD-PolitikerInnen und einen beachtlichen Teil der Parteibasis hinter sich weiß.

Die Identitäre Bewegung als Blaupause für die AfD-Jugend

Die bereits aufgezeigten Bezüge zwischen Partei und dem an einer rechten Gegenkultur arbeitenden Vorfeld, verdichten sich noch einmal in Bezug auf die Identitäre Bewegung. Dabei bedient sich die Junge Alternative nicht nur an strukturellen und stilistischen Mitteln der IB, sondern sucht den direkten Kontakt zu Identitären und bindet sie in ihre Strukturen ein. Die JA versucht sich mit ihrer blau-weißen IB-Variante eine medienaffine und jugendgerechte Außendarstellung aufzubauen.

Um neue Mitglieder zu werben organisiert die JA, genau wie die IB „Stammtische“. Ebenfalls agiert sie auf Discord und Telegram, auf denselben Online-Plattformen wie die IB. Abgeschaut sind auch die Socializing-Strukturen. Das Patriotische Sommerfest der JA bei Nürnberg umfasste ein Zeltlager, sportliche Aktivitäten und ein Lagerfeuer. Die patriotischen Aktionstage in Berchtesgaden waren ähnlich strukturiert und sind damit inhaltlich und methodisch identisch mit den Aktivistenwochenenden, respektive dem Bundeslager der Identitären Bewegung.

Erster und letzter Versuch eines AfD-Graffiti

 

Zunehmend tritt die JA auch aktionistisch in Erscheinung, um ihr Image als spießige Wohlstandskinder ein wenig zu kaschieren. Genau wie die IB greift die JA dabei auf Aktionsformen der Spontibewegung zurück und veröffentlicht diese in Form aktionsgeladener Fotos und Videos. Verschiedene JA-Landesverbände führten bereits Bannerdrops aus. Die JA-Arnsberg, die unter der Leitung des Identitären Nils Hartwig steht und der Neffe von AfD-MdB Roland Hartwig ist, versuchte es zudem ähnlich wie die IB im Ruhrgebiet mit Graffiti. Am 14. Mai 2020 posierte er mit seinem Dortmunder „Chef“ Matthias Helferich in IB-Manier auf einer Brücke in Dortmund mit dem Banner „Grundrechte wiederherstellen“. Am 13. Juni versammelte Hartwig dann in Gelsenkirchen eine Gruppe von 12 jungen Männern, für die er zum Teil die Ruhrgebiets-Identitären von Defend Ruhrpott reaktivierte. Vermummt posierten die Identitären und jungen AfDler vor einer Lenin-Statue, während ein Identitärer Kader aus Bochum mit Kunstblut hantierte. Kurz darauf erschien ein Aktionsvideo. Ebenfalls beteiligt war der gewaltaffine Identitäre Noah von Stein aus Sprockhövel.

Kurz vor Weihnachten zog die JA-Sachsen-Anhalt mit acht Personen weiße und blaue Rauchfackeln zündend durch eine offenbar leere, nicht näher bekannte Straße. Wie der IB ging es der JA dabei lediglich um ein paar reißerische Fotos, die mit einem Dank an den aus der AfD ausgeschlossenen Antisemiten Frank Pasemann, sowie mit einer Drohung an politische Gegner („Wir werden dafür sorgen, dass unsere politischen Gegner ihr blaues Wunder erleben!“). Beteiligt war Lisa Lehmann, Ex-Freundin von Andre Poggenburg, die sich aktuell als rechte Instagram-Influencerin und Moderatorin in der AfD profilieren möchte.

Ebenso erhalten immer lauter die Kampfbegriffe der Neuen Rechten, zuvor lediglich als Verschleierung ihrer menschenverachtenden Absichten von der Identitären Bewegung entworfen und geprägt, Einzug in die AfD. 2016 machte Petry mit dem Versuch das Wort „völkisch“ wieder positiv zu besetzen diesbezüglich den Anfang. Viel früher als die AfD hat die Neue Rechte erkannt, dass sie ihre antihumanistische Agenda in vornehme Begriffe kleiden muss, um die Chance auf Anschlussfähigkeit zu wahren. Die Begriffs-Mimikry nutzt nun immer hemmungsloser die AfD und JA und versucht eine positive Zuschreibung in der Öffentlichkeit zu erreichen. . In einem Fall posierten Alice Weidel unter anderem mit Markus Frohnmaier und weiteren Mitglieder der JA Baden-Württemberg mit einem Banner, welches „Remigration Jetzt!“ fordert. Eine Wortneuschöpfung der Neuen Rechten, welches durch die IB über Banner und Aufkleber in den vergangenen Jahren verbreitet wurde, um das demaskierende „Ausländer Raus!“ zu umgehen.

Der medienaffine Dortmunder Stadtrat Matthias Helferich, zu dessen engsten Mitarbeitern der Identitäre Nils Hartwig zählt, postete am 3. April ein selbsterstelltes Sharepic mit dem Titel „No Way – Deutschland wird nicht deine Heimat“. Eine auf Deutschland gemünzte Kopie des IB-Slogans „No Way – You will not make Europe your home“, mit dem diese die Rettung geflüchteter und in Seenot geratener Menschen verächtlich machen wollte. Die JA-Bayern bemühte den IB-Slogan „Festung Europa“ am 23. April gleich ganz direkt. Die JA-Thüringen bezieht sich in der Überschrift eines ihrer Sharepics auf „Identität und Europa“. Mitglieder der Jungen Alternativen NRW, darunter auch ein Bochumer IB-Aktivist, posierten zum Wahlkampfauftakt zu den Kommunalwahlen in NRW mit den Plakaten „Sichere Heimat“ und „Sichere Zukunft“. Den nahezu identischen Slogan brachte die Identitäre Bewegung 2016 auf dem Brandenburger Tor an.

Mit der neuen identitären Werbe- und Medienagentur Feldzug spricht die IB die AfD ganz direkt an und bietet „Strategie, Kommunikation, Kampagnengestaltung und Analyse für Nonkonformisten“. Die dort erschienen Artikel beziehen sich nahezu gänzlich direkt auf die Situation der AfD: „Die VS-Beobachtung kommt, was tun?“, „Personelle Imagekampagnen“, „AfD und die Machtoption“, „AfD Mobilisierungspotentiale“. Hier versucht sich die Identitäre Bewegung als und Einflussnehmer und politischer Berater für die AfD, und sich auch ein neues Geschäftsfeld zu erschließen. Hinter Feldzug steckt die Okzident Media UG aus Rostock, die sich der „Gegenöffentlichkeit“ verschrieben hat und ein breites Portfolio von Marketing über Fotografie und Grafik bis hin zu Kampagnenplanung anbietet. Im Hawermannweg 16 ist jedoch nicht nur Okzident Media beheimatet, sondern auch die Kohorte UG, die den Online-Shop der IB namens Phalanx Europe betreibt. Für dieses in Rostock beheimatete extrem rechte Konglomerat aus Unternehmen und IB-Zentrale zeichnen die beiden langjährigen IB-Kader Daniel Fiß und Daniel Sebbin verantwortlich. Ex-NPDler Daniel Fiß war viele Jahre stellvertretender Vorsitzender der IB und arbeitete bereits mehrfach für die AfD. 2018 zahlte der Co-Landesvorsitzende der AfD Mecklenburg-Vorpommern, Dennis Augustin, Fiß rund 1200 Euro für seine Hilfe beim Auftritt in sozialen Medien. 2020 arbeitete Fiß als Grafikdesigner für Siegbert Droese und später sogar im Landtagsbüro des ehemaligen AfD-Landesvorsitzenden Holger Arppe.

Die IB stellt ihre Expertise über Okziden-Media der AfD in einem Rundum-Paket zur Verfügung

Theoretische und ideologische Bezüge

Autoritäre Vorbilder und antidemokratische Literatur. Das Leitbild ‚Preußen‘ als ideologisches Korsett

JA-Aufkleber: Ernst Jünger, Bismarck und Friedrich der Große

Waren in der AfD mit ihrer Gründung ideologische und historische Bezüge nur rudimentär öffentlich ein Thema, hat seit 2016 eine Trendwende eingesetzt. Zunehmend organisieren die Parteigliederungen Veranstaltungen, die sich mit „historischen Vorbildern“ beschäftigen. Ziel dabei ist es eine positive Traditionslinie zu konstruieren und ideologische Eckpfeiler zu markieren. Auffallend ist dabei, dass der Begriff „Preußen“ eine zentrale Rolle einnimmt und damit ein Bezugspunkt ins Visier genommen wird, der auch weit abseits der AfD von zentraler Bedeutung ist. Spricht man in der AfD von „Preußen“ ist damit die Zeit vor 1918 gemeint: Es wird sich auf das Deutsche Kaiserreich sowie das Königreich Preußen bezogen, womit im Wesentlichen der „Alte Fritz“ König Friedrich II. aus dem 18. Jahrhundert positiv rezipiert wird. Die Funktion des Preußenbildes hat jedoch vor allem eine wichtige gegenwärtige Bedeutung. Mit „Preußen“ soll eine ideologische und identitätsstiftende Antipode zur derzeitigen „Berliner Republik“ geschaffen werden, die häufig als zersetzend, antinational, multikulturell und gleichmacherisch dargestellt wird.

Helferich mit ernster Miene am Kaiser-Wilhelm Denkmal

Als Björn Höcke im Januar 2017 seine „Dresdner Rede“ vor 500 Anhänger*innen der Partei hielt, wünschte er sich vom Publikum: „Ich möchte, dass ihr euch im Dienst verzehrt. Ja, ich möchte euch als neue Preußen.“ Den ideologischen Hintergrund liefert die Annahme, dass ein Kampf um Deutschland im Gange sei und nur „preußische Tugenden“ helfen könnten, um Deutschland vor einem Chaos zu bewahren. Wenn gleich das überwiegend sächsische Publikum ein wenig pikiert reagierte – schließlich ist das Bild von Preußen in Sachsen aus historischen Gründen eher negativ konnotiert – offenbarte Höcke damit ein Weltbild, das in den folgenden Jahren zunehmend offener in der AfD und deren Umfeld angesprochen wurde und eine Art Roll-back beinhaltet. Diese Position wiederholte er 2018 in seinem Buch „Nie zweimal in denselben Fluß“. Trotz seiner rheinländischen Herkunft – auch dort überwiegt eher die Ablehnung des Begriffs Preußens, wie er betont – legte er dar, dass Preußen „ein wichtiger Bezugspunkt, geschichtlich wie politisch“ für ihn sei. Und darüber hinaus: „Preußen ist als geschichtliches Phänomen für die Erneuerung unseres Gemeinwesens von elementarer Bedeutung. Damit meine ich nicht nur seine bekannten Werte und Tugenden, sondern auch seine institutionellen Vorbilder wie beispielsweise den Staatsapparat, die Armee und das Bildungswesen.“ Die Neuordnung des politischen Systems müsse sich daher nur an einer preußischen Tradition orientieren, um Deutschland zu neuer Größe zu führen. AfD-Politikerin Jessica Bießmann, die sich 2019 vor einer Weinflasche mit Hitler-Porträt räkelte, erstellte ein Sharepic auf dem die Konterfeis Höckes und Bismarcks mit der Überschrift „Aus Sorge um Deutschland“ versehen sind.

Die von Höcke vertretene Traditionslinie zielt damit auf autoritäre-elitäre, nationalistische und hierarchische Bezugspunkte und ist antidemokratisch konzipiert.

Höcke stellt mit dieser Position keine Ausnahme dar. Hans-Thomas Tillschneider, Landtagsabgeordneter aus Sachsen-Anhalt, stellte am 18. Januar 2021 anlässlich der 150jährigen Gründung des Kaiserreichs das Video „Ehre dem Deutschen Kaiserreich (1871-1918)!“ online und kritisierte die mangelnde Würdigung dieses Datums durch die bundesrepublikanische Politik und Medien. Tillschneider bezeichnete den „Flügel“ bei einem Treffen in Schnellroda als „Wir sind die Preußen in der AfD!“ und präsentierte dort ein Geschichtsbild, das Preußen als allumfassendes Ideal der Gesellschaft sieht. Wer sich nicht zu Preußen bekenne, hätte nach Ansicht von Tillschneider ein gestörtes Bild von Nation. Gerade hier sieht er eine Antwort: Preußen könne mit diesem „gestörten Verhältnis“ aufräumen. Der repressive Unterton, gerichtet an politische Gegner*innen, war dabei bei Tillschneider kein Zufall. Der starke Staat müsse wiedererstehen und werde von „linken und liberalen Staatsfeinden“ bedroht. Die preußischen Tugenden, wie Disziplin, Leistung und Gehorsam müssten demnach wieder eine stärkere Rolle in der Gesellschaft spielen. Dieses Treffen des AfD-Flügels bei Götz Kubitschek in Schnellroda, welches vom Identitären Simon Kaupert von EinProzent fotografisch dokumentiert wird, steht beispielhaft für das inner- und außerparlamentarische Netzwerk der Neuen Rechten.

Innerhalb der AfD wird regelmäßig der erste Reichskanzler Otto von Bismarck als Identifikationsfigur angesehen. Diese Verehrung drückt sich sowohl an dessen Geburtstag, dem 1. April, wie auch in Form von Devotionalien aus. Die JA-Brandenburg ließ 2020 Aufkleber und Aufsteller mit dem Konterfei Bismarcks erstellen, auf dem der Spruch „Wo das müssen beginnt, hört das Fürchten auf“ abgedruckt ist. Ebenso wurde König Friedrich II. mit dem Satz „Die erste Pflicht eines Bürgers ist, seinem Land zu dienen“ zitiert. Auch im Onlineshop der JA sind diese Produkte zu erwerben und dienen zur Verbreitung des preußischen Leitbilds.

Die metapolitische Verbindung mit Preußen schafft ebenfalls ideale Anknüpfungspunkte mit anderen Akteuren der Neuen Rechten, so bspw. mit Götz Kubitschek oder auch der Identitären Bewegung. Auf ihrer Grundlage wird sowohl von der AfD wie auch von anderen neurechten Organisationen versucht, eine metapolitische Strategie der diskursiven Raumnahme voranzutreiben. Der Dortmunder AfD-Politiker Matthias Helferich und sein identitärer Adlatus von der JA-Arnsberg Nils Hartwig schmücken ihre Instagram-Accounts aus purer Bewunderung mit Denkmälern von Kaiser Wilhelm und Reichskanzler Bismarck.

Strategisch arbeiten AfD und IB auch in der Praxis zusammen. Als im Dezember 2020 erneut über den künftigen Umgang mit dem Hamburger Bismarck-Denkmal diskutiert wurde, waren es sowohl die AfD als auch Identitäre, die sich für den „Eisernen Kanzler“ stark machten. Die Arbeitsteilung lief beispielhaft: Während sich die AfD auf politischer Ebene äußerte, posierte die IB-Hamburg nachts vor der Hamburger SPD-Zentrale mit dem Banner „Bismarck bleibt“. Bismarck und Preußen wurden somit im Hamburger Senat und vor dem Haus des politischen Gegners von AfD und IB Seite an Seite verteidigt.

Helferich liest Treitschke

Diese ideologische Verortung ist allerdings kein Alleinstellungsmerkmal der offen völkisch-nationalistisch auftretenden Kreise in der AfD. So zitierte der nicht dem „Flügel“ angehörende Markus Scheer von der AfD-Bochum ebenfalls „Friedrich den Großen, König von Preußen“ bei Facebook. Matthias Helferich scheint offenbar auch ein interessierter Leser des antisemitischen Vermächtnisses Heinrich von Treitschkes zu sein. Der Historiker Treitschke war einer der prominentesten Vertreter des deutschen Antisemitismus im Kaiserreich und kreierte den Slogan „Die Juden sind unser Unglück“, ein Kernsatz des späteren nationalsozialistischen Hetzblattes Der Stürmer. Doch Treitschkes Antisemitismus spielt für Helferich keine Rolle, wenn es um eine preußische Lichtgestalt geht. Und auch für den AfD-Aktivist Elia Sievers aus Ostwestfalen stellt Kaiser Wilhelm II. und das deutsche Heer aus dem Ersten Weltkrieg eine symbolhafte Antwort für die „Aussetzung der Wehrpflicht“ und „transgender Projekte“ auf Facebook dar. Hinter dieser Symbolpolitik versteckt sich gleichsam das autoritäre Preußenbild, für das der „Kampf um Deutschland“ historisch wie gegenwärtig von zentraler Bedeutung ist.

Die Bezugnahme auf das Kaiserreich hat eine wichtige geschichtspolitische Funktion, die eng mit der Neukonzeption rechter Sprache und Symbolik zu tun hat. Sie soll einen positiven Resonanzraum für die Denker der „Konservativen Revolution“ in der Öffentlichkeit schaffen. Unisono werden zunehmend Autoren wie Oswald Spengler, Ernst Jünger, Arthur Möller van den Bruck oder auch Carl Schmitt rezipiert. Der Begriff „Konservative Revolution“ ist hierbei eine nachträgliche Konstruktion, die nach dem Zweiten Weltkrieg von Armin Mohler geschaffen wurde. Sie umfasst Denker, die sich gegen die Deutsche Republik nach 1918 wendeten und einen autoritären-elitären Staat forderten. Dieser solle zwar ohne Monarchie auskommen, allerdings würden demokratische Grundprinzipien dennoch keinen Platz in ihm haben. Mohlers Intention war eine Rehabilitierung dieser Männer durch eine Abgrenzung ihrer Werke und ihrer Ideologien vom Nationalsozialismus. Wenn gleich der Nationalsozialismus ideologische Fragmente aus den Werken dieser Denker übernahm, gab es in den 1930er und 1940er Jahren inhaltliche und persönliche Konflikte, die auch politische Differenzen offenlegten. Dennoch ist eine ideologische Verwandtschaft zwischen Konservativer Revolution und Nationalsozialismus deutlich sichtbar. Zahlreiche Autoren der Konservativen Revolution gelten als ideologische Wegbereiter des Nationalsozialismus.

Veranstaltungen und Beiträge, wie zum 125. Geburtstag von Ernst Jünger, dem Autor des kriegsverherrlichenden Buches „In Stahlgewittern“ durch die AfD oder JA, sind beispielhaft für die Rekonstruktion eines wehrhaften Männlichkeits- und euphorischen Kriegsbildes. Und am 6. Oktober feierte die JA-Berlin mit der AfD-Marzahn-Hellersdorf an dessen Todestag 125 Jahre Ernst Jünger und lud dazu die neurechten Ideologen Götz Kubitschek und Erik Lehnert ein. Hier sollte der Todestag von Jünger die unkritische historische Verbindungslinie zwischen preußischer Tradition, Konservativer Revolution und Gegenwart ziehen. Auch auf subkultureller Lifestyle-Ebene werden die Theoretiker der Konservativen Revolution gefeiert und ihre Inhalte verbreitet. So schenkte im Jahr 2019 Matthias Helferich dem Vorsitzenden der JA-Bielefeld und dortigen AfD-Schatzmeister Jonas Vriesen ein Plakat mit dem Porträt Ernst Jüngers in kaiserlicher Uniform. Dieses Poster gibt es im Onlineshop des IB-nahen Arcadi Magazins von des Leverkusener AfD-Politikers Yannik Noé zu kaufen. Helferich lobt Jünger über Instagram auch als „Literaten, Kämpfer und Philosophen“. Mittlerweile bietet die JA Sachsen-Anhalt Aufkleber mit dem Slogan „Der Staat ist Vaterland, die Heimat Mutterland“ an.

Auf der Basis dieses unreflektierten und völkisch-autoritären Geschichtsbild werden Monographien aus dem Autorenkreis der Sezession und dem Institut für Staatspolitik veröffentlicht, in denen die VerfasserInnen aktiv über mögliche alternative Gesellschaftsmodelle diskutieren, die sich unverhohlen gegen demokratische Prinzipien wenden. Daneben dienen AfD-(Jung-)PolitikerInnen die Image- und Vernetzungsplattform EinProzent, der Verlag Antaios, der offen neofaschtistische Jungeuropa Verlag und der Oikos Verlag, der in Person von Jonas Schick das rechte Öko-Magazin Die Kehre herausbringt, als ideologische und strukturelle Verortung. Jonas Dünzel, Kandidat für den Bundesvorsitz der Jungen Alternative, trifft in Dresden den neurechten Autor und AfD-Berater Thor Kunkel. Roger Beckamp empfiehlt Kunkels „Wörterbuch der Lügenpresse“. Am 27. Juni 2020 lud die JA-NRW den neurechten Herausgeber Felix Menzel zu einer Wanderung mit anschließendem Vortrag nach Herten ein. Carlo Clemens, Landessprecher der JA NRW, ist Abonnent der Zeitschriften Sezession und Die Kehre, bestellt Literatur des Antaios Verlages (u.a. von Carl Schmitt, Benedikt Kaiser und Martin „Lichtmesz“ Semlitsch) und reiste auch zum obengenannten Jünger-Jubiläum mit den neurechten Referenten nach Berlin an. Clemens lässt sich zudem von Jörg Haider inspirieren und spricht im Podcast des konflikt Magazins über die „Bedeutung des metapolitischen Vorfeldes“. Der Schnellroda-Fan und stellvertretende JA-Landesvorsitzende in Hessen Patrick Pana empfiehlt Literatur von Ernst Niekisch und Arthur Möller van den Bruck. AfD-Nachwuchshoffnung Marie-Therese Kaiser macht über ihren Instagram-Account Werbung für das im neofaschistischen Jungeuropa-Verlag erschienen Buch „Enklave“ des Identitären Kaders Volker Zierke. Der gerichtsfest als Nazi zu bezeichnender Freiburger AfD-Politiker Dubravko Mandic, liest auf Instagra das im Antaios Verlag erschienene Buch „Der Faschistische Stil“ von Armin Mohler. Das von Identitären entwickelte und von EinProzent finanzierte Computerspiel Heimat Defender wurde genau so durch JA und AfD-Kreise beworben, wie die ebenfalls von EinProzent finanzierten Hydra Comics aus Dresden. Hinzu kommen die Winter- und Sommerakademien in Schnellroda, die als Ort der Ideologisierung und Vernetzung zwischen Identitärer Bewegung und AfD-Nachwuchs dienen. Weiterhin ließ die JA Baden-Württemberg Anti-Antifa Aufkleber produzieren, auf denen zwei stilisierte Fäuste (AfD und JA) das Logo der Antifaschistischen Aktion zerschlagen. Ebenfalls bekannten sich die bundesweiten JA-Strukturen im US-Wahlkampf sehr offensiv zu Trump. Die JA-Nordbaden posierte mit Fahnen während sich Dustin Steinmann sich im Stil der militanten, extrem rechten Boogaloo-Boys kleidete. Die JA Mittelrhein-Westerwald gab in Person von Justin-Cedrik Salka zu, eines der bekanntesten Marschlieder der Wehrmacht, das Westwerwald-Lied, bei ihren Veranstaltungen regelmäßig zu intonieren. Schließlich bietet der von Yannik Noé verwaltete Online-Shop der JA das Buch „Für eine positive Kritik“ von Dominique Venner an. Der Rechtsterrorist Venner ist nicht nur Geburtshelfer und ideologischer Bezugspunkt für die IB, sondern brachte sich schließlich in Paris als Akt des Protestes gegen die „Amerikanisierung Europas“ und die Einführung der gleichgeschlechtlichen Ehe.

Große Unterstützung erhielt Benedikt Kaisers Büchlein „Solidarischer Patriotismus“, das von Höcke als eines der „wichtigsten Bücher des Jahres 2020“ geadelt wurde. Kaiser, der schon im Sammelband „Marx von rechts“ u.a. mit Alain de Benoist an der Umdeutung marxistischer Theorie arbeitete, gehört zur Gruppe von Denkern im neurechten Spektrum, für die die soziale Frage eine Kernfrage des 21. Jahrhunderts darstellt. Sie begreifen sie auch als entscheidend für das Überleben der AfD, sofern sie diese Frage im Sinne von Kaiser beantwortet. Patriotische Solidarität entspricht hier einem Ausgrenzungsdiskurs, der auf völkischen und kulturellen Kategorien gründet. Demnach könne die Nation nur überleben, wenn völkische Kriterien auch in der Sozialpolitik entscheidend seien. Dem internationalen Charakter der Wirtschaft müsse eine Nationalökonomie entgegenstehen, an der nur partizipieren kann, wer deutsch nach Herkunft ist und sich dem System unterordne. Diese Prinzipien rekurrieren wiederum auf Preußen und stellen den Versuch einer Transformation der völkisch-autoritären Ideen aus den 1920er Jahren in aktuelle gesellschaftliche Diskurse dar. Wenngleich diverse PolitikerInnen der AfD und JA Kaiser positiv rezipieren, gibt es auch Kritik in der Partei. Insbesondere die Strömungen, die den Sozialstaat abbauen und eine neoliberale Deregulierung der Wirtschaft vorantreiben wollen, kritisieren diesen Ansatz als kollektivistisch und staatszentriert. Trotz eines verabschiedeten sozialpolitischen Programms der AfD im November 2020 in Kalkar ist diese parteiinterne metapolitische Diskussion noch nicht abgeschlossen. Neben Höcke, empfehlen auch Roger Beckamp AfD-Politiker und Mitglied des NRW-Landtages sowie die JA-Brandenburg Kaisers Buch. Die Neonazi-Partei „Der III. Weg“ rezensierte dieses Buch ebenfalls.

Nach dem „Reichstagssturm“ im August 2020 wurde die Konklusion Preußenbild und Konservativer Revolution auch Thema in diversen neurechten bis neonazistischen Medien. So erklärte Jürgen Elsässers Compact-Magazin „Das Reich wird Pop“, verteidigte zugleich vehement die Schwarz-weiß-rote Flagge und stellte die Geschichte des Kaiserreiches inklusive des Hohenzollern-Hauses prachtvoll und glorreich dar. Parallel wurde das Thema auch von der Deutschen Stimme der NPD aufgegriffen, auch wenn eine vergleichbare Verehrung nicht stattfand. Der Versuch Preußen und eine schwarz-weiß-rote Beflaggung im medialen und politischen Diskurs zu normalisieren, hatte zu einer breiten Kampagne im rechten Lager geführt. Ziel dieser Normalisierung war auch, eine Legitimation für schwarz-rot-weiße Fahnen und Symbole auf den Demonstrationen der Querdenker-Bewegung zu liefern. Gerade dort tauchte diese Farbkombination immer wieder auf und sorgte innerhalb des Querdenker-Netzwerkes für leichte Kritik. Mit Beginn des Jahres 2021 hat sich das Querdenker-Milieu nur teilweise davon distanziert. Fahnen und Sprachelement aus diesem historischen Kanon sind noch immer dort vertreten und werden, ähnlich wie in der AfD und deren Umfeld, als Ausgangspunkt genutzt, um über eine andere – eben eine undemokratische – Gesellschaft zu diskutieren.

Tillschneider: „Wir sind die diszipliniertesten Soldaten dieser Partei! Wir sind die Preußen in der AfD!“

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Quellen & Verweise

https://correctiv.org/top-stories/2020/10/06/kein-filter-fuer-rechts-instagram-rechtsextremismus-frauen-der-rechten-szene/

https://correctiv.org/top-stories/2020/11/17/kein-filter-fuer-rechts-instagram-rechtsextremismus-rechte-memes-moderne-propaganda-auf-instagram/

https://www.fr.de/panorama/heimat-defender-obskure-computerspiele-rechtsextreme-onlinekulte-martin-sellner-goetz-kubitschek-90042545.html

https://netzpolitik.org/2020/fritzfeed-das-versteckspiel-der-afd/

https://www.spiegel.de/politik/deutschland/fritzfeed-afd-mitarbeiter-aus-nordrhein-westfalen-werben-verdeckt-um-junge-menschen-a-37289f38-0617-449d-a868-0b1e1b6acd5e

https://correctiv.org/faktencheck/hintergrund/2019/05/21/erste-konferenz-der-freien-medien-wie-die-afd-rechte-blogger-und-identitaere-in-den-bundestag-einlud/

Die Vulgäre Analyse: Plumpe Provokation und Hass auf YouTube

https://mediarep.org/bitstream/handle/doc/14753/Navigationen_19_2_136-149_Wentz_Krieg-der-Trolle_.pdf?sequence=2&isAllowed=y

Einschlägige AfD-Mitarbeiter im Landtag

https://www.spiegel.de/politik/afd-und-identitaere-bewegung-wie-sich-der-rechte-nachwuchs-neu-organisiert-a-7da38488-eb95-4c86-97ea-8b02993a2964