Wahlanalyse zur Kommunalwahl 2020 in Bochum

Am 23.09.2020 fanden die Kommunalwahlen in NRW statt. In Bochum wurde unter anderem über den Rat, den Oberbürgermeister und das Ruhrparlament abgestimmt.
Die Kommunalwahl bietet eine gute Möglichkeit einen genaueren Blick auf die AfD zu werfen. Wie erfolgreich war die AfD? Wo hat sie besonders gut – wo besonders schlecht abgeschnitten? Wer sitzt jetzt für die Partei im Rat?

Auf diese Fragen wollen wir in der folgenden Analyse genauer eingehen und erste Erklärungsansätze aufzeigen, sowie die einzelnen AfD Politiker*innen im Rat vorstellen.

Die Kommunalwahl 2020 in Bochum

Sowohl bei der Bezirksvertretungswahl, als auch bei der Ratswahl hat die Bochumer AfD ein Ergebnis von 5,62% erreicht. Im Vergleich zu der Europawahl im letzten Jahr, bei welcher ihr Ergebnis bei 9,48% lag, ist ihr Stimmanteil also um ca. ein Drittel gesunken.
Somit setzt sich der negative Trend bei den Wahlergebnissen der AfD, welcher sich erstmals bei der Europawahl 2019 zeigte, auch bei der diesjährigen Kommunalwahl fort.

Während die AfD bei der letzten Wahl in einigen Wahlbezirken noch einen Stimmzuwachs verzeichnen konnte, sind die Wahlergebnisse in diesem Jahr in jedem der 33 Wahlbezirke gesunken.
Im Vergleich zu den landesweiten Ergebnissen liegt die Bochumer AfD geringfügig über dem Durchschnitt von 5,1%.

Das AfD Ergebnis in den Bochumer Stadtteilen

Die größte Zustimmung fand die AfD bei der Ratswahl in den Außenbezirken wie Werne (9,82%), WAT-West/Leithe (9,76%) und WAT-Mitte/Ost (9,3%). Auch bei der Bezirksvertretungswahl fallen die Ergebnisse eher in den Innenstadt fernen Bezirken vergleichsweise hoch aus. So hat die AfD in Werne (9,8%), Gerthe/Rosenberg (8,57%) und Hofstede (8,51%) die höchsten Ergebnisse erzielt.

Die 10 Prozent konnte die AfD nur bei der Wahl des Ruhrparlaments in den Bezirken Werne (11,59%) und WAT-West/Leithe (10,84%) knacken.

Die niedrigsten Ergebnisse erzielte die AfD hingegen vor allem in den Innenstadt nahen Bezirken wie Ehrenfeld (2,43%), Innenstadt Südost (2,63%) sowie im Bochumer Süden in Stiepel (3,65%) bei der Ratswahl und Innenstadt Südost (2,78%), Ehrenfeld (2,82%) und Innenstadt Nord/Schmechtingwiese (3,68%) bei der Bezirksvertretungswahl.

Um zu verstehen weswegen die AfD hier so erfolgreich war, müssen wir einen genaueren Blick auf die Stadtteile und die Wähler*innen der AfD werfen.

Wer hat die AfD gewählt?

Laut einer Analyse des WDR zeichnet sich NRW weit ab, dass es gerade unter den jüngeren Wähler*innen weniger Zustimmung für die Politik der AfD gibt. So haben von allen Wähler*innen unter 25 Jahren gerade mal 3% ihre Stimme der AfD gegeben, während es bei den über 60 jährigen ca. 6% waren.
Weiterhin gibt es auch bei dem Wahlverhalten nach Geschlecht bei der AfD Unterschiede. So haben in NRW gerade mal 3% der wählenden Frauen die AfD gewählt, wohingegen sich 7% der Männer für eine Stimme für die AfD entschieden haben. Zudem weisen AfD-Wähler*innen ein höheres Unzufriedenheitsniveau auf, als Unterstützer*innen bürgerlicher Parteien.

Hohe Ergebnisse in den Außenbezirken

Beim Betrachtung der Stadtteile ist es auffallend, dass sowohl Gerthe und Werne, als auch Wattenscheid am Bochumer Stadtrand gelegen sind und ähnliche Probleme aufweisen. Hierzu zählen unter anderem eine hohe Erwerbslosigkeit, schlechter (baulicher) Zustand von öffentlichen Einrichtungen sowie marode Straßen, Häuser und Spielplätze.

Im folgenden wollen wir den Stadtteil Werne genauer unter die Lupe nehmen um Erklärungsansätze für das hohe Wahlergebnis der AfD aufzuzeigen.
Bochum Werne liegt im Bochumer Osten und grenzt an die Stadtteile Harpen, Gerthe, Laer
und Langendreer sowie an die Nachbarstadt Dortmund. Insgesamt ist Werne als ein strukturschwacher Stadtteil zu bezeichnen. Das Versorgungszentrum hangelt sich entlang des viel befahrenen Werner Hellwegs und bietet nur wenigen Läden Platz. Zudem finden Fußgänger*innen und Fahradfahrer*innen hier kaum ausreichend Raum und müssen immer wieder Autos ausweichen.Zwar verfügt Werne über Gute Anschlussmöglichkeiten an das Autobahnnetz ist an den ÖPNV jedoch kaum angebunden.
Im stadtweiten Vergleich hat Werne ein unterdurchschnittliches Mietniveau. Dies liegt daran, dass es sich um alte, in Teilen sanierungsbedürftige, Häuser handelt, sowie eine vergleichsweise geringe Wohnungsgröße. Werne weißt mit 12.4% (Stand 2018) eine überdurchschnittlich hohe Arbeitslosigkeit auf. Obwohl in Werne überwiegend ältere Menschen leben, gibt es zu wenig Plätze in der Kinder und Jugendbetreuung. Zwar gibt es Freizeitangebote für Kinder und Jugendliche vor Ort, doch haben diese meist keine adäquaten Räumlichkeiten und Außenbereiche, die zu einem längeren Verweilen einladen. Des Weiteren ist ein kulturelles Angebot in Werne kaum existent. Auch Nachbarschaftstreffpunkte und Orte des Austausches sind kaum vorhanden. Dies führt dazu, dass Werne, scheinbar zurecht, als “abgehängter” Stadtteil bezeichnet werden kann.
Ein erster begrüßenswerter Schritt ist die Einrichtung des WLAB, einem Stadtteilbüro, welches als Anlaufstelle zwischen Bürger*innen im Viertel und der Stadt dienen soll.

Diese Probleme lassen sich auch auf die Bezirke Wattenscheid und Gerthe übertragen. Hinzu kommt, dass bereits seit 2019 immer wieder rechte Schmierereien in Gerthe auftauchen wie Antifaschist*innen bereits dokumentierten und veröffentlichten. Hieran zeigt sich ganz deutlich, dass rechte Akteur*innen sich in Gerthe sicher fühlen und versuchen den öffentlichen Raum für sich zu beanspruchen. Diese Mischung aus vermeintlich abgehängten Stadtteilen, überdurchschnittlich alter Bevölkerung und geringem sozialen Standard ist es, in der es der AfD gelingt Wähler*innen für sich zu gewinnen.

Die AfD und die extreme Rechte – auch NPD Kandidatin findet Unterstützung

Dennoch darf bei der Suche nicht außen vor bleiben, dass die AfD auch in der öffentlichen Wahrnehmung als Bindeglied zur extremen Rechten gilt, somit ist davon auszugehen, dass sich die Wähler*innen der AfD bewusst dazu entschieden haben eine Partei zu wählen, die Nazis in ihren eigenen Reihen duldet und hofiert.

Die Bochumer NPD konnte bei den diesjährigen Bezirksvertretungs- und Ratswahlen nicht über ein Ergebnis von 0,35 Prozent hinauskommen. Einzig bei der OB-Wahl konnten sie aufgrund mangelnder Konkurrenz seitens der AfD, 1,84% erreichen.

Abgesehen von der OB-Wahl konnte die NPD nur im Rahmen der Ratswahl mit ihrem Spitzenkandidaten Claus Cremer die 1% Marke knacken. Im Bezirk Günnigfeld/Südfeldmark erreichte die NPD somit 1,1%, wohingegen ihre Ergebnisse in 28 der insgesamt 33 Wahlbezirke unter 0,5% blieben.

Mit diesen Ergebnissen konnte die NPD zwar im Vergleich zur Europawahl 2019 einen geringen Stimmenzuwachs verzeichnen, im Vergleich mit der letzten Ratswahl im Jahr 2014 hat sie allerdings ca. 2/3 der damals erreichten Stimmen verloren und musste somit ihre Plätze im Rat der Stadt Bochum abgeben.

Die AfD im neuen Rat der Stadt

Durch die von der NPD gewonnen zwei Sitze konnte die AfD im Rat der Stadt auf fünf Personen aufstocken, allerdings teilweise mit wechselndem Personal. Gabriele Walger-Demolsky und Christian Loose räumen ihren Platz im Rat und werden sich vermutlich nun ganz auf ihre Landtagsmitgliedschaft konzentrieren. Neu dazu kommen dafür Markus Schröder, Nicole Scheer, Christian Krampitz und Lars Schmidt. Weiterhin Ratsmitglied bleibt Jens Wittbrodt.

Die AfDler*innen im neuen Rat der Stadt Bochum – Wittbrodt, Schmidt, Krampitz, N. Scheer und Schröder (v. l. n. r.)

Der Rat hat als höchstes städtisches Gremium Einfluss auf eine Vielzahl von Entscheidungen, die für die Stadt Bochum getroffen werden. Er entscheidet unter anderem über die Förderung von Initiativen gegen Rechtsextremismus, den Bau von Kultureinrichtungen und Kindertagesstätten oder den Ausbau von Radwegen. Eine rassistische Partei, wie die AfD, gewinnt durch Plätze im Rat Einfluss auf die Beschlüsse, die von ihm geschlossen werden und kann somit das politische und gesellschaftliche Klima in einer Stadt nachhaltig schädigen.

Einen guter Grund einen genaueren Blick auf die AfDler*innen zu werfen, die mit ihrer Ratsmitgliedschaft Einfluss auf unser Leben in Bochum haben werden können:

Auf Listenplatz 1 stand für die Bochumer AfD Nicole Scheer. Die Bürokauffrau ist zusätzlich stellvertretende Schatzmeisterin im NRW Landesvorstand. Auch in kommunalen Gremien konnte sie bereits Erfahrungen sammeln, denn sie saß für die AfD Bochum schon in den Ausschüssen für Schule und Bildung sowie für Beteiligungen und Controlling.
Scheer trat im Wahlbezirk Wattenscheid/Leithe an und erzielte dort 9,76 %. Nicht verwunderlich, denn in Wattenscheid wird generell mehr rechts gewählt als in anderen Bochumer Stadtteilen. Unter den fünf Wahlbezirken, die am häufigsten AfD wählten, liegen drei in Wattenscheid. Bei den Wahlbezirken, in denen am häufigsten NPD gewählt wurde, sind sogar vier Wattenscheider Bezirke unter den „TOP 5“. Bei der Europawahl 2019 ergab sich ein ähnliches Bild beim Wahlverhalten.

Zumindest einen Teil dieser Wähler*innen wird die AfD dabei bei der NPD abgegriffen haben. Diese kommt zur Kommunalwahl im Wahlbezirk Wattenscheid West/Leithe trotz großer Bemühungen bei Mitgliedergewinn und Wahlwerbung nur noch auf 0,74 %. Zur letzten Kommunalwahl in 2014 waren es noch 1,50 % (AfD: 7,35 %). In 2009, als die AfD noch nicht existierte, kam sie sogar auf 2,07 %. Dass immer weniger Menschen die NPD wählen, haben wir dabei natürlich nicht nur der AfD zu verdanken. Auch die konstante antifaschistische Arbeit und Intervention auf Bochums Straßen und das absolut dilettantisch Auftreten von Claus Cremers Grüppchen trugen mit Sicherheit ihren Anteil dazu bei.

Scheer übernahm 2009 nach der Verurteilung ihres Mannes Markus – Sprecher des AfD Kreisverbandes Bochum – sein Unternehmen. Markus Scheer, der unter anderem das Spiel „Moorhuhn“ auf den Markt brachte, wurde wegen Bilanzfälschung, Untreue und Betrug zu einer 3-jährigen Haftstrafe verurteilt.

Jens Wittbrodt ist Geschäftsführer der AfD Fraktion Bochum und als Listenplatz 2 weiter im Rat der Stadt Bochum. Dort sitzt der ehemalige SPDler seit 2017 für die AfD. Ebenso war er bereits in einer Vielzahl von städtischen Auschüssen (stellvertretendes) Mitglied, unter anderem im Ausschuss für Planung und Grundstücke und im Ausschuss für Umwelt, Sicherheit und Ordnung. Wittbrodt erzielte im Wahlbezirk Hamme/Hordel 6,25 %. Weiter schreibt er Artikel für das Anzeigenblatt „Stadtspiegel“ und ist Herausgeber des „Alternativen Newsletter“ – eine Art AfD Wahlwerbung im Design einer Zeitung. Für ernstzunehmenden Journalismus hat Wittbrodts Talent dann scheinbar doch nicht ausgereicht.

Als Neuzuwachs zieht Christian Krampitz für die AfD in den Rat. Ein Unbekannter ist er allerdings nicht. Zum Einen saß er bereits unter anderem im Auschuss für Arbeit, Gesundheit und Soziales und in der Bezirksvertretung Bochum Ost . Zum Anderen tauchte Krampitz bereits in Recherchen der lokalen Antifa auf. So heißt es im Antifa Report der Antifaschistischen Linken Bochum: „Christian Krampitz (Wahlkreis 42 Werne) war bereits im Jahr 2014 Mitglied der rechten Hooligan Gruppe Brigade Bochum. Die Brigade Bochum war u.a. an der Organisation der HoGeSa Demonstration in Köln im Jahr 2014 beteiligt. Damals randalierten mehrere tausend rechte Hooligans und Nazis in der Kölner Innenstadt.“
Dass einmal ein rechter Hooligan im Rat zum Beispiel über den Einsatz von Schulsozialarbeitern oder die Förderung von Anti Gewalt Projekten entscheidet, scheint eigentlich unfassbar und ist nur durch das Erstarken rechter Parteien wie der AfD möglich.

Ein weiterer neuer AfD Ratsherr mit offensichtlicher Affinität zur extremen Rechten ist Markus Schröder. Er fiel schon mehrfach durch rechte Posts auf Facebook auf. Wir gingen bereits in unserem Artikel über die Verfehlungen der AfD Bochum näher auf diese Postings ein.

Schröder, der Schriftführer im AfD Kreisverband Bochum ist, trat im Wahlbezirk Gerthe/Rosenberg an und erzielte dort 8,90 % der Stimmen.

Der fünfte AfDler im neuen Rat der Stadt Bochum ist Lars Schmidt. Der Jura Student ist sachkundiger Bürger der AfD-Fraktion und Beisitzer des Kreisverbandes. Mit 25 Jahren ist er das jüngste AfD Mitglied im Rat. Politisch ist uns Schmidt bis jetzt noch nicht aufgefallen und wir werden sein Verhalten im Rat weiter beobachten. Lars Schmidt trat in Günnigfeld/Südfeldmark an und erzielte dort 8,30 % der Stimmen.

Unter den fünf AfD Kandidat*innen, die die höchsten Prozentwerte für die AfD Bochum erzielt haben, sind außerdem der verurteilte Bilanzfälscher und Betrüger Markus Scheer und der Waffennarr Wolfgang Demolsky.

Demolsky, der häufiger durch wirre Posts auf Facebook auffiel, zeigte sich bereits positiv gegenüber nationalsozialistische Ideen. Seinen Vater, der nach 1949 Landesgeschäftsführer der Sozialistischen Reichspartei war, die sich in der Tradition der NSDAP sah, lobte er, denn er hätte sich „für unser Deutschland aufgerieben und geopfert“. Die Sozialistischen Reichspartei wurde 1952 als verfassungswidrige Organisation verboten.

Was nun?

Die aus dieser Kommunalwahl gezogenen Schlüsse können wir für unsere weitere politische Arbeit in Bochum nutzen. Wir wissen, an welchen Orten und bei welchen Menschen die AfD Bochum erfolgreich ist. Dort müssen wir adressat*innengerecht ansetzen und weiter über diese rassistische Partei aufklären und ihre weitreichenden Fehltritte aufzeigen.

Wir werden weiter Blick auf die Afdler*innen im Rat haben und ihre politische Stoßrichtung und auch interne Streitigkeiten beobachten.

Nach der Wahl ist vor der Wahl!

Nächstes Jahr ist Bundestagswahl und wir wollen dazu beitragen, dass sich der Trend bei der AfD fortsetzt und ihr Ergebnis in Bochum bald unter 5 % sein wird!

Danke an alle antifaschistischen Wahlkämpfer*innen, die mit ihrem Einsatz an AfD Ständen und gegen AfD Wahlwerbung dafür gesorgt haben, dass die AfD in Bochum keine großen Erfolge erzielen konnte!